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Einsicht in nur unvollständige Akten

27. November 2003

- Umgang mit den Securitate-Archiven in Rumänien

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Bonn, 26.11.2003, DW-radio / Rumänisch, Keno Verseck

Der einstige Geheimdienst Securitate lässt Rumänien nicht los. 14 Jahre sind seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu in Rumänien vergangen, doch die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit kommt nur zögerlich voran. Im Frühjahr 2000 hatte Rumänien als letztes osteuropäisches EU-Kandidatenland die Akten des ehemaligen kommunistischen Geheimdienstes Securitate zur Einsicht freigegeben. Praktisch jedoch stößt die Akten-Öffnung immer wieder auf Schwierigkeiten.

Bukarest, eine graue Kaserne am Rand der rumänischen Hauptstadt. Hier lagert ein Teil des Archivs von Ceausescus berüchtigtem Geheimdienst Securitate. Florin Pintilie, der Direktor des Archivs, schließt eine Panzertür auf, hinter der etwa ein Kilometer Akten lagern: "Hier befindet sich ein Teil der Opferakten, also Akten über die Leute, die von der Securitate verfolgt wurden. Es sind nicht so beeindruckend viele Akten wie in der deutschen Stasi-Akten-Behörde, aber es sind auch nicht wenig."

Seit Frühjahr 2000 kann jeder rumänische und ausländische Bürger Einsicht in seine Personalakten beantragen. Auch Historiker haben die Möglichkeit, die Akten des berüchtigten Geheimdiensts Securitate zu Forschungszwecken zu studieren. Eine Behörde mit dem umständlichen Namen "Nationales Kollegium zum Studium der Securitate-Archive", kurz CNSAS, koordiniert die Offenlegung der Akten.

In der Praxis ist die Akten-Öffnung in den letzten drei Jahren jedoch nur schleppend vorangekommen. Das liegt zum einen am diesbezüglichen Gesetz selbst: Es enthält eine Bestimmung, der zufolge Personalakten mit Informationen, die die nationale Sicherheit Rumäniens berühren, nicht an die Betroffenen ausgehändigt werden brauchen - eine weit gefasste Bestimmung. Tatsächlich mussten viele derjenigen, die ihre Akten einsehen konnten, feststellen, dass umfangreiche Teile offenbar fehlten.

Möglich wird diese selektive Öffnung auch dadurch, dass die Archive der Securitate von deren Nachfolge-Geheimdiensten verwaltet werden. Der wichtigste von ihnen ist der Rumänische Informationsdienst SRI, der auch den größten Teil der Securitate-Akten verwaltet. Horia Roman Patapievici einer der zwölf Mitglieder des Leitungsgremiums der Akten-Öffnungs-Behörde, beschreibt, wie die Praxis aussieht:

"Wir stellten einen Antrag mit dem Namen der Betreffenden, die SRI-Leute gingen in das Archiv und entschieden, was sie uns geben wollten. Das Material konnten wir nur im Beisein von Geheimdienst-Offizieren studieren, die uns überwachten. Ich hatte zum Beispiel eine Akte, bei der ich aufgrund des Inhaltsverzeichnisses bemerkte, dass vieles aus ihr fehlte. Ich fragte nach: Was ist mit dieser Akte geschehen? Die Antwort war: Wir haben absolut keine Ahnung."

Florin Pintilie, der Archivdirektor beim rumänischen Innengeheimdienst, bestreitet vehement, dass der SRI etwas mit dem Verschwinden von Akten zu tun hat: "Nach meinem Wissen wurde an keiner Akte manipuliert, nichts gestohlen. Diese Gerüchte werden vermutlich in dem Maße verschwinden, wie das Kollegium sie verifizieren wird. Ich denke, es wäre besser, sich zuerst einmal auf Fakten zu stützen, als Anschuldigungen zu erheben, die sich als unbegründet heraus stellen könnten."

Doch es gibt nicht nur Interessenskonflikte zwischen den Securitate-Nachfolge-Geheimdiensten und der Akten-Öffnungs-Behörde, sondern auch Streit in der Behörde selbst: Über die gesamte Tätigkeit der Institution entscheidet ein zwölfköpfiges Leitungsgremium. Das Gremium wird vom Parlament paritätisch besetzt, seine Mitglieder müssen Entscheidungen mit Mehrheitsbeschluss fassen. Zur schwersten Krise der Akten-Öffnungs-Behörde kam es in diesem Jahr: Monatelang erschienen die von der regierenden wendekommunistischen Sozialdemokratischen Partei eingesetzten Vertreter nicht zu Sitzungen des Leitungsgremiums. Mit der Folge, dass die Arbeit der Akten-Öffnungs-Behörde praktisch von Januar bis September brach lag.

Dabei ging es um weitreichende Entscheidungen, nämlich unter anderem darum, ob die Namen ehemaliger Securitate-Offiziere veröffentlicht werden oder nicht. Für die Regierungspartei eine unangenehme Entscheidung, sind doch viele ihrer Mitglieder offenbar ehemalige Securitate-Mitarbeiter gewesen. Prominentestes Beispiel ist der Abgeordnete Ristea Priboi, dem vorgeworfen wird, Gegner der Ceausescu-Diktatur verhört und misshandelt zu haben. Im Oktober wurden erstmals einige Dutzend Namen ehemaliger Securitate-Offiziere veröffentlicht, viele der Betreffenden sind allerdings längst verstorben.

Marius Oprea ist Historiker und der rumänische Forscher, der bisher das meiste Material zur Geschichte der Securitate publiziert hat. Oprea kritisiert, dass die rumänische Regierungspartei kein Interesse an der Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit hat. Zusammen mit anderen Historikern und Intellektuellen hat er kürzlich ein eigenes Projekt zur Veröffentlichung der Namen von Securitate-Mitarbeitern in Angriff genommen:

"Wir haben inzwischen mehr als tausend Namen gesammelt. Wir haben sie von Leuten erfahren, die ihre Personalakten einsehen konnten. Wir werden diese Namen öffentlich machen. Wenn eine staatliche Institution wie die Akten-Öffnungs-Behörde in ihrer Arbeit willentlich von der Politik behindert wird, dann muss eben die Zivilgesellschaft eingreifen, egal mit welchem Risiko." (fp)