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Zeitbomben zersägen

13. Juli 2004

- Mit deutschem Know-how werden in Murmansk russische Atom-U-Boote

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Bonn, 13.7.2004, DW-RADIO, Rolf Wenkel

Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke hat zusammen mit Vertretern der russischen Regierung am vergangenen Wochenende in der Saida-Bucht bei Murmansk den Grundstein für ein Langzeit-Zwischenlager gelegt, das einmal rund 120 Atomreaktoren der ehemaligen russischen Nordmeer-Flotte beherbergen soll, und zwar so lange, bis ihre Strahlung weitgehend abgeklungen ist. Die Bundesregierung stellt dafür rund 300 Millionen Euro zur Verfügung. Rolf Wenkel über die Hintergründe:

Im Jahr 1958 stellte sie sowjetische Marine ihr erstes atom-getriebenes U-Boot in den Dienst der Nordmeer-Flotte. Josef Stalin, der 1953 starb, hatte noch selbst den Befehl dazu gegeben. In der Folgezeit bauten die Sowjets mindestens 250 Atom-U-Boote, von denen inzwischen nach offiziellen russischen Angaben 193 außer Dienst gestellt worden sind. Doch was tun mit diesen strahlenden Wracks? Steffen Moritz, Sprecher des Berliner Wirtschaftsministeriums:

"Das Problem ist, dass nach dem Ende des Kalten Krieges und durch den Zeitablauf viele dieser U-Boote verschrottet werden müssen und man vor dem Problem steht: Was machen mit dieser nuklearen Antriebselementen, die eben Uran enthalten und strahlen und damit nicht nur für die Umwelt eine Gefahr bilden, sondern auch gefährlich sind, insofern als dass Terroristen mit dem strahlenden Material Schaden anrichten können."

Unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September stellten sich vor zwei Jahren die Regierungschefs der G-8-Staaten auf ihrem Gipfel im kanadischen Kananaskis genau die gleiche Frage - und hoben die "Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien" aus der Taufe. Denn die Gefahr, dass sich Terroristen in Russland relativ leicht radioaktive Stoffe besorgen und damit die Welt bedrohen können, war offensichtlich.

(Moritz) "Das war genau die Überlegung - der Umweltschutz auf der einen Seite und die Terrorbekämpfung auf der anderen Seite. Das war eine Verabredung, die ja nicht nur - wie jetzt - zwischen Deutschland und Russland stattgefunden hat und die auch nicht nur Atom-U-Boote betrifft, sondern es geht um drei Komplexe, das zweite sind die Chemiewaffen und das dritte sind die sonstigen Atomanlagen."

Inzwischen beteiligen sich 21 Staaten an dieser "Globalen Partnerschaft", die sich das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2012 die nuklearen und chemischen Gefahrenquellen in Russland zu beseitigen. Bis zu 20 Milliarden US-Dollar will die internationale Staatengemeinschaft dafür aufbringen, zehn Milliarden allein die USA, 1,5 Milliarden Deutschland. Doch passiert ist bisher nicht viel. Noch im Mai beschwerte sich der stellvertretende russische Atomenergieminister Sergej Antipow bei einem Besuch in Berlin darüber, dass die vor zwei Jahren zugesagten Gelder nur langsam einträfen.

Am weitesten fortgeschritten ist bislang das deutsch-russische Projekt bei Murmansk, für das die Bundesregierung 300 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Dort werden zur Zeit die Atom-U-Boote zersägt, um sie anschließend für rund 70 Jahre zwischenzulagern - mit deutschem Know-how.

(Moritz) "Der Atomreaktor ist in der Mitte des Bootes, und man schneidet dann das U-Boot in drei Teile, und der Atomreaktor wird im Moment vertäut und in einer Bucht neben dieser Nerpa-Werft bei Murmansk ins Wasser gelassen. Da liegen im Moment einige Dutzend dieser Atomreaktoren mehr oder weniger ungeschützt im Wasser und warten auf das, was kommen mag."

Was kommen soll, ist ein 5,5 Hektar großes Langzeit-Zwischenlager, eine riesige Betonfläche mit Gleisanlagen, einem Dockanleger, einer Reparatur- und einer Konservierungshalle, in der einmal 120 strahlende Reaktorsegmente für die nächsten 70 Jahre aufbewahrt werden sollen - die ersten schon im Herbst nächsten Jahres. Auf deutscher Seite ist die Energiewerke Nord GmbH aus Lubmin mit der Projektleitung beauftragt, die schon mit dem Rückbau des Atomkraftwerkes Greifswald Know-how und Erfahrung gesammelt hat.

Dass überhaupt Ausländer auf dem militärisch abgeschirmten, streng bewachten Sperrgebiet arbeiten dürfen, grenzt nach Meinung von Beobachtern fast an ein Wunder. Denn bislang haben die russische Marine, der Geheimdienst und die Bürokratie immer zu verhindern gewusst, dass Umweltschutzorganisationen wie zum Beispiel Greenpeace genauere Angaben über das tatsächliche Gefahrenpotenzial des Atomschrotts erhalten. Ein halbes Jahr hat es allein gedauert, sich über eine telefonische Standleitung in das gesperrte Gebiet zu einigen. Doch Steffen Moritz vom Berliner Wirtschaftsministerium, gerade aus Murmansk zurückgekehrt, hat jetzt einen ganz anderen Eindruck:

"Also, die Zusammenarbeit klappt sehr gut im Moment, die russische Marine sieht natürlich auch, dass sie es mit Hilfe dieses Geldes nun schaffen, diese Entsorgung auf eine solide Basis zu stellen. Die Russen sind natürlich auch interessiert an dieser Entsorgungstechnologie, und letztendlich haben sie auch kein Interesse daran, dass Terroristen oder andere an dieses gefährliche Material herankommen. Insofern sind die Gelder, die die G-8-Staaten, unter ihnen auch Deutschland, ihnen zugesagt haben, eine willkommene Hilfe, und man muss sagen, dass die Russen sehr kooperationsbereit sind."

Das war nicht immer der Fall. Zwischen 1998 und 2000 habe das zuständige russische Atomministerium 270 Millionen US-Dollar an internationaler Hilfe kassiert, schreibt der russische Ableger von Greenpeace. Doch der Rechnungshof der Russischen Föderation habe bislang kein einziges Dokument über die Verwendung dieser Gelder finden können. Stattdessen hätten auffällig viele hohe Beamte des Ministeriums plötzlich eigene Firmen gegründet. Deshalb braucht sich der stellvertretende russische Atomenergieminister Sergej Antipow auch nicht zu wundern, dass die vor zwei Jahren zugesagten Gelder nur langsam tröpfeln. Auch die Bundesregierung möchte natürlich sicher stellen, dass die Gelder nicht zweckentfremdet werden, sagt Steffen Moritz:

"Wie gesagt ist unser Projektleiter die Energiewerke Nord GmbH, und diese Firma überwacht dieses Projekt mit Technikern aus ihren eigenen Reihen, und sie sind auch mit dem Monitoring ständig beschäftigt, und sie dringen darauf, dass die Gelder nur so verwendet werden wie geplant. Insbesondere wird natürlich nur nach der Abwicklung von Arbeiten Geld überwiesen." (TS)