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Komplexe Wahrheit

Jochen Kürten8. Februar 2009

Am dritten Tag der Berlinale ging es um Kriegsverbrecher, einen Wochenendausflug im Iran und einen Detektiv in Louisiana – und dabei vor allem um die Frage, was Wahrheit ist. Jochen Kürten hat den Wettberwerb beobachtet.

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Szene aus "Sturm" (Quelle: Promo)
"Sturm" stimmt nachdenklichBild: 23/5, Zentropa, IDTV, DoP Bogumil Godfrejow

Die Wahrheit ist nie eindeutig, oft unglaublich kompliziert und manchmal so komplex, dass Gerechtigkeit und Aufklärung auf der Strecke bleiben. Das war mein persönliches Fazit des 3. Berlinale-Tages. Ein deutscher Film über einen Kriegsverbrecher-Prozess, ein iranischer Streifen über einen tragisch endenden Wochenendausflug und ein europäisch-amerikanischer Krimi in den Sümpfen der Südstaaten – alle diese Filme beschäftigten sich auf unterschiedliche Art und Weise mit der Suche nach der Wahrheit. Und, wie ich finde, höchst intelligent und subtil.

Moderner Iran

Szene aus "Über Elly" (Quelle: Promo)
Iranische Wirklichkeit in "Über Elly": Modisches Kopftuch, manchmal mit Gucci-BrilleBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Filme aus dem Iran sind bei den großen Festivals keine Seltenheit. Die alte Kulturnation schlägt mit künstlerisch angelegten Werken den Regierenden in Teheran immer wieder ein Schnippchen. Über den Umweg scheinbar ganz harmloser Familienkonflikte oder individueller Schicksale erzählen die persischen Regisseure auch viel über die innere Verfasstheit der Menschen im modernen Iran. Meist haben sie das in der Vergangenheit in kontemplativen, meditativ angelegten Filmen erzählt. Regisseur Asghar Farhadi hat mit "Über Elly" einen anderen Weg eingeschlagen.

Farhadi versammelt eine lebenslustig gestimmte Gruppe junger Männer und Frauen bei einem Wochenendausflug am Kaspischen Meer. Die ausgelassene Stimmung bricht jäh ab, als eine mitreisende junge Erzieherin nach einem Badeunfall plötzlich verschwindet. Ob sie tatsächlich ertrunken ist, bleibt zunächst unklar. Der Regisseur und sein Ensemble entfachen bei der Suche nach Erklärungen ein vielschichtiges Spiel aus Vermutungen und Verdächtigungen, Lüge und Wahrheit. Die zunächst so harmonisch gestimmten Beziehungen innerhalb der Gruppe geraten außer Kontrolle. Die jungen Frauen, die zum modischen Kopftuch gern Gucci-Brillen tragen, stoßen an die Grenzen männlicher Toleranz.

Kriminelle Machenschaften

Szene aus "Sturm" (Quelle: Promo)
Für "Sturm" gab es verdienten BeifallBild: 23/5, Zentropa, IDTV, DoP Bogumil Godfrejow

Auch in der internationalen Co-Produktion "Sturm" des Deutschen Hans-Christian Schmid ist nichts so, wie es zunächst scheint. Der Fall eines beim Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag angeklagten serbischen Offiziers, der anfangs für die Staatsanwaltschaft so eindeutig erscheint, erweist sich als höchst kompliziert. Und zwar nicht, weil an der Schuld des ehemaligen Militärs gezweifelt wird, sondern weil der Prozess in ein kompliziertes Geflecht aus politischen Interessen, kriminellen Machenschaften und privaten Verwicklungen gerät.

Am Ende geht es kaum noch um die Wahrheit, vielmehr um ein Spiel der verschiedenen Interessensgruppen. Wie Schmid hier von der ersten Minute an die Fäden in der Hand behält, wie er die unterschiedlichen Motivationen der Akteure souverän herausarbeitet und das ganze bis zum Ende schlüssig weiterspinnt, das verrät eine große Könnerschaft. Verdienter Beifall nach der Vorführung. Ein Film, der offenbar nicht nur mich nachdenklich gestimmt hat. Und der sicherlich dazu führen wird, dass man in Zukunft den Bemühungen um Gerechtigkeit noch skeptischer gegenüberstehen wird.

Südstaaten Film-Noir aus französischer Hand

Szene aus "In The Electric Mist" (Quelle: Promo)
Klassischer Krimi, europäischer Blick: "In The Electric Mist"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Bertrand Taverniers "In The Electric Mist" ist ein weiterer Mosaikstein in der schon lange andauernden Liebesgeschichte französischer Regisseure zu amerikanischen Krimiautoren. Das in Louisiana angesiedelte Drama um einen Detektiv, der auf der Spur eines Serienmörders ist und dabei tief in die Geschichte der amerikanischen Südstaaten schaut, bedient einerseits klassische Krimimuster. Es zeigt aber auch den europäischen Blick auf amerikanische Verhältnisse. Das Puzzle, das am Ende zum Mörder führt, ist weniger actionorientiert angelegt, als vielmehr eine atmosphärisch aufgeladene Südstaatenmeditation.

Man ist dankbar für solche Tage, die keine Ausreißer nach unten bringen, die intelligentes Kino zeigen, das einen irritiert und nicht nur fest gefügte Meinungen zementiert. Das einen über die verschiedenen Aspekte von Wahrheit und Realität zum Nachdenken zwingt. Und das dabei nicht als Geschichtsstunde daherkommt, sondern – in Momenten zumindest – erschüttert und auch zu Tränen rührt.

Fazit: 346 Minuten intelligentes Kino. Fast ohne Durststrecken. Wenn's so weitergeht, bin ich zufrieden.