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PolitikUkraine

Warum Einwohner der Krim in der Armee der Ukraine kämpfen

Viktoriia Pokatilova
16. März 2024

Als Russland vor zehn Jahren die Krim annektierte, protestierten Einwohner der Halbinsel. Viele von ihnen mussten fliehen. Einige kämpfen seitdem in der ukrainischen Armee für die Befreiung ihrer Heimat.

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Iryna Holosna in Militäruniform
Iryna Holosna kämpft seit zehn Jahren für die Befreiung ihrer HeimatBild: DW

Vor zehn Jahren besetzte und annektierte die Russische Föderation die ukrainische Halbinsel Krim und zwang Tausende Einwohner, ihre Heimat und Angehörigen zu verlassen. Einige von ihnen schlossen sich den Streitkräften der Ukraine an und kämpfen seit 2014 gegen die russische Aggression. Isa Akajew und Iryna Holosna sind zwei von ihnen.

Heimkehr nach 40 Jahren

Isa Akajew ist 57 Jahre alt. Sein wahrer Name lautet Nariman Biljalow, in der Ukraine wurde er jedoch unter dem Pseudonym bekannt. Seit 2014 führt der Mann mit krimtatarischen Wurzeln das Freiwilligenbataillon "Krim" der ukrainischen Streitkräfte an, das er gemeinsam mit anderen Bewohnern der Halbinsel gegründet hat. Heute ist das eine Spezialeinheit innerhalb des ukrainischen Militärgeheimdienstes. 

Akajew zieht Parallelen zwischen der jetzigen russischen Besetzung der Krim und der Zeit, als die sowjetischen Behörden am Ende des Zweiten Weltkriegs massenhaft Krimtataren nach Zentralasien deportierten.

1944 wurden seine Großeltern mit seinen Eltern, die damals noch Kinder waren, innerhalb der Sowjetunion von der Krim nach Usbekistan verbannt.

Isa Akajew in Kiew beim DW-Interview
Isa Akajew von der Krim kämpft in der ukrainischen ArmeeBild: DW

Die folgenden 40 Jahre lebte die Familie in der Fremde. Isa Akajew und seine Schwestern wurden in der usbekischen Sowjetrepublik geboren. Seine Eltern sagten ihnen, dass ihre Heimat die Krim sei und sie irgendwann dorthin zurückkehren würden. Möglich wurde dies aber erst 1990, als das Sowjetregime in den letzten Zügen lag.

Dies sei ein historischer Moment gewesen, sagt Akajew. Ihm sei damals klar geworden, dass die Halbinsel sich die Unterstützung einer unabhängigen Ukraine sichern und mit ihr ihre Zukunft aufbauen müsse. "Wir können nicht zusammen mit Russland sein. Die Russen haben uns alles genommen", betont er und fügt hinzu, dass sie auch Friedhöfe und Moschen der Krimtataren zerstört hätten.

Erneuter Verlust der Heimat

Als im Winter 2014 die ersten russischen Soldaten ohne Hoheitszeichen auf der Krim auftauchten und begannen, die Kontrolle über Verwaltungsgebäude und Militäreinrichtungen zu übernehmen, hätten die Menschen auf der Krim noch nicht geahnt, dass dies zur Besetzung der Halbinsel führen würde, berichtet Akajew.

Ihm zufolge war man auf der Krim nach dem Sieg der proeuropäischen Protestbewegung gegen die damalige prorussische Führung in Kiew davon überzeugt, dass der Widerstand auf der Halbinsel die Durchsetzung der prorussischen Kräfte nicht erlauben würde. Der Mann erinnert sich an die großen Demonstrationen vom 26. Februar 2014 in Simferopol gegen die russische Präsenz auf der Krim. Sie waren vom Medschlis, der zentralen Exekutivkörperschaft der Volksversammlung der Krimtataren, organisiert worden. Unter den Teilnehmern war auch Isa Akajew.

Vor dem Parlament der Autonomen Republik Krim wird im März 2014 die Flagge Russlands gehisst
Vor dem Parlament der Autonomen Republik Krim wird im März 2014 die Flagge Russlands gehisstBild: Vasily Maximov/AFP via Getty Images

Gleichzeitig fand dort eine prorussische Kundgebung statt, bei der es zu Zusammenstößen kam. Dabei starben zwei Menschen, mehrere wurden verletzt. Akajew verließ kurz darauf die Krim und reiste nach Kiew, um bei Aktivisten für die Unterstützung der Menschen auf der Halbinsel zu werben.

Erst später wurde ihm klar, dass es für ihn keinen Weg zurück gab. Seine Frau habe ihn angerufen, berichtet er, und gebeten, nicht heimzukehren, da vor dem Haus bereits Unbekannte auf ihn warten würden. Wenige Tage später mussten auch Akajews Frau und Kinder die Halbinsel verlassen.

Annexion lange vorbereitet

Iryna Holosna gehört zu den proukrainischen Krimbewohnern, die 2014 auf der Halbinsel geblieben waren und Widerstand gegen die Besatzer leisteten. Sie lebte seit den 1990er Jahren in Sewastopol und sagt, dass schon vor der Annexion auf der Halbinsel russische Narrative zur Geschichte der Krim propagiert worden seien.

Vertreterin der ukrainischen Armee Iryna Holosna im DW-Interview
Iryna Holosna musste Krim verlassenBild: DW

Während der Amtszeit des prorussischen Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch, in den Jahren 2010 bis 2014 wurden den Menschen auf der Halbinsel offen russische Pässe angeboten. Im Gegenzug wurden ihnen neue Chancen in Russland versprochen, vor allem Jobs, sagt Holosna.

Die Bewohner der Krim hätten das aber nicht als Bedrohung wahrgenommen, gibt die Frau zu: "Niemand hatte etwas dagegen, man hielt das für normal. Aber russische Pässe bekamen letztlich nicht viele Menschen. Ich denke, dass die Russen auf diese Weise schon die Annexion vorbereiteten und die Bevölkerung nur testen wollten."

Als im Jahr 2014 russische Soldaten ohne Hoheitszeichen auf der Halbinsel auftauchten, so Holosna, sei sie gemeinsam mit den Ehefrauen ukrainischer Soldaten nachts zu den Kasernen gegangen, um dort Wache zu halten. Wie die Frau sagt, wollten sie verhindern, dass die Russen die Kontrolle über die Einrichtungen der ukrainischen Armee und die Waffendepots übernehmen.

Wunsch nach Befreiung und Heimkehr

Trotz des proukrainischen Widerstands gelang es den russischen Truppen schon im März 2014, die Kontrolle über die Krim zu erlangen. Auch nach dem illegalen Referendum über den Anschluss der Halbinsel an die Russische Föderation unterstützte Holosna weiter offen die Ukraine. Sie sagt, keiner ihrer Verwandten und Freunde in Sewastopol habe an das angebliche Ergebnis der Abstimmung geglaubt.

"Wir haben das nicht akzeptiert, sind mit dem Trolleybus nach Hause gefahren und haben laut die Nationalhymne der Ukraine gesungen. Wir dachten, das alles werde bald wieder vorbei sein", erinnert sie sich traurig.

Bewaffnete und maskierte russische Soldaten auf einer Straße in Simferopol auf der Krim im März 2014
Bewaffnete und maskierte russische Soldaten in Simferopol auf der Krim im März 2014Bild: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

In den folgenden Monaten habe sich die Lage weiter verschlechtert. Die Lehrer hätten begonnen, so Holosna, ihre Kinder in der Schule zu schikanieren, und sie selbst sei am Arbeitsplatz wiederholt bedroht worden, weil sie auf ihrer Kleidung ukrainische Symbole getragen habe.

Im September 2014 verließ Iryna Holosna mit ihrem Sohn und ihrer Tochter schließlich die Krim. Sie fuhren nach Lwiw im Westen der Ukraine. Dort schloss sie sich der ukrainischen Armee an, die bereits im Osten des Landes gegen von Russland unterstützte Separatisten kämpfte. Seitdem diente Holosna an vielen Brennpunkten der Front in der Region Donezk, auch seit der umfassenden russischen Invasion 2022. Nun bereitet sie sich als Angehörige der Luftaufklärung auf einen Einsatz im Süden des Landes vor.

Sowohl Isa Akajew als auch Iryna Holosna kämpfen seit zehn Jahren in der ukrainischen Armee gegen die russische Aggression. Sie wollen zur Befreiung der Halbinsel beitragen und dann dorthin zurückkehren. Auf der Krim warten auf sie auch heute noch Angehörige. Akajew hat praktisch seine ganze Familie dort. Bei Holosna ist es die Familie ihres Bruders und eine Großmutter. Die Frau ist überzeugt, dass die Halbinsel ausschließlich auf militärischem Weg befreit werden kann. Doch dies werde jedoch nicht bald passieren, da sei sie sich sicher.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk