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US-Medien setzen sich Grenzen der Meinungsfreiheit

Kristin Zeier10. Februar 2006

Der Streit über die Mohammed-Karikaturen beherrscht nicht nur die Schlagzeilen in den europäischen Medien. Auch in den USA ist das Thema in Zeitungen und Fernsehsendern eine Topstory.

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CNN hat Karikaturen nicht nachgedrucktBild: AP

Fast jeden Tag berichten die amerikanischen Medien über die eskalierende Gewalt und die Haltung der europäischen Politiker und Presse. Viele kommentieren die Lage, aber im Gegensatz zu Europa werden die Karikaturen so gut wie nicht gezeigt.

Die größten Zeitungen des Landes haben sich gegen die Veröffentlichung entschieden. Die Zeichnungen entsprächen nicht den Standards des Hauses, lassen die Chefetagen verlautbaren. Nicht einmal die größte amerikanische Nachrichtenagentur AP hat Bilder von den Karikaturen angeboten.

Das ist gut so, finden die Meinungsmacher. "Die Karikaturen verstoßen gegen unsere Richtlinien", sagt Washington-Post-Chefredakteur Leonard Downie Jr. "Wir haben für solche Fälle klare Regeln, sowohl mit Blick auf religiöse und ethnische Empfindlichkeiten als auch mit Blick auf Anstand und Geschmack", erklärt er in einem Kommentar seiner Zeitung.

Verzicht auf Abdruck ist umstritten

So klar sind die Regeln aber nicht, denn der Verzicht auf den Nachdruck der dänischen Zeichnungen ist in den USA nicht unumstritten. Gerade weil sich Karikaturen einen festen Platz in den Meinungsseiten der US-Zeitungen erobert haben, könnte man meinen, dass die Medien offener damit umgehen würden.

Stattdessen halten sich die meisten Zeitungen zurück. Nur der "Philadephia Inquirer" und die Boulevardzeitung "New York Sun" haben die Karikaturen veröffentlicht. Der Fernsehsender ABC hat als einziger die Bilder gesendet – und das auch nur einmal und ganz kurz. Selbst CNN weigert sich, die Bilder zu zeigen.

Auch wenn viele europäische Zeitungen auf einen Nachdruck verzichten, ist dieser Verzicht in den USA besonders auffällig. In keinem anderen Land ist die Meinungsfreiheit so weit gefasst. Sogar antisemitische Äußerungen und die übelsten Holocaustlügen sind vom Recht auf Meinungsfreiheit geschützt.

Haben die US-Medien aus Angst vor antiamerikanischen Protesten diese Selbstzensur geübt, wie manche Journalistenverbände kritisieren? Oder haben sie sich zurückgehalten, weil Präsident Bush die Karikaturen als "beleidigend und verletzend" betrachtet und sogar sein Vorgänger Bill Clinton sie auf eine Ebene mit Antisemitismus setzt?

Einhalten der "Schamgrenze"

In den amerikanischen Medien gilt häufig eine enger gefasste Interpretation von Meinungsfreiheit als man eigentlich erwarten würde. Oft wird zu Gunsten eines allgemeinen Verständnisses von "Anstand" entschieden. Maßstab ist, was die Mehrheit der Leser für akzeptabel hält. Und Amerikaner haben eben ihre Schwierigkeiten, wenn es um religiöse Themen geht.

Witze und Karikaturen, die über Andersgläubige herfallen, verstoßen gegen den guten Geschmack und werden in den Massenmedien nicht geduldet. Das hat wenig mit Meinungsfreiheit zu tun. Vielmehr beruht dieser Verzicht auf jahrelanger Erfahrung einer pluralistischen Gesellschaft, in der mehrere Religionen nebeneinander existieren.

"Political Correctness" wird manchmal belächelt und kann zu seltsamen Übertreibungen wie dem Verbot von christlichen Weihnachtsgrüßen führen, aber im positiven Sinn bedeutet dieses Verhalten ein gesteigertes Bewusstsein für mögliche Beleidigungen gegenüber einer Minderheit. Wenn einem bewusst ist, dass bestimmte Äußerungen eine andere Gruppe verletzen könnten, sollte man vielleicht besser schweigen. Meinen jedenfalls viele US-Bürger.

Das könnte auch der Grund sein, warum der Council on American Islamic Relations die US-Medien lobte. "Im Gegensatz zu den Europäern sahen amerikanische Zeitungen keine Notwendigkeit, provokativ und beleidigend zu sein, nur um ihre Rechte klarzustellen", meinte die Vereinigung von amerikanischen Muslimen.

Meinungsfreiheit versus Respekt vor Andersgläubigen

Gleichzeitig zeigt die Diskussion über die Karikaturen, dass die Amerikaner sich – genau wie die Europäer – nicht einig sind, wo ihre kulturellen Parameter und Werte liegen. Auf der einen Seite wird Meinungsfreiheit heilig gesprochen, auf der anderen Seite steht der Respekt vor anderen.

Chefredakteure entscheiden sich gegen einen Nachdruck der Karikaturen und heben den Respekt vor ihren muslimischen Mitbürgern hervor. Und dann beschweren sich die Leser, sie hätten ein Recht darauf, für sich selbst zu entscheiden, worum es in diesem Streit geht. Sie wollen die Zeichnungen sehen.

In einer Umfrage des San Francisco Chronicle sagten 68 Prozent der Leser, die Zeitung solle die Karikaturen nachdrucken. Der Chefredakteur John Diaz lehnte dennoch ab: "Wir können unsere Leser auf viele Weisen beleidigen. Das sollten wir aber besser unterlassen."