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Albaniens Streitkultur

26. Januar 2011

Der Tod von drei Demonstranten bildet den tragischen Höhepunkt einer jahrzehntelangen Polarisierung der albanischen Politik. Diese hat ihre Wurzeln im Kommunismus. Noch immer mangelt es an Dialogkultur.

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Ausgebrannte Autos vor dem Regierungssitz in Tirana (Foto: EPA/Valdrin Xhemaj)
Proteste werden gewalttätigBild: picture-alliance/dpa

Wie konnte es nur soweit kommen? Nach den tödlichen Schüssen auf drei Demonstranten aus einem Kellerfenster des Regierungssitzes in Tirana muss Albanien nun einerseits wieder zur Ruhe finden, aber auch aus diesem vorläufigen Höhepunkt der Eskalation in der albanischen Politik lernen. Die Gründe für die Demonstration und ihr tragisches Ende liegen Jahrzehnte zurück. Seit dem Ende des Kommunismus gab es in Albanien nicht eine einzige Parlamentswahl, bei der die unterlegene Seite, das Ergebnis anerkannt hätte.

Anstelle Konflikte auf institutionellem Wege zu lösen, haben die Verlierer von links und rechts immer wieder versucht, durch Boykotte, Proteste, Demonstrationen bis hin zum offenen bewaffneten Aufstand ihre Interessen durchzusetzen. Sie taten das auch dann, wenn internationale Beobachter durchaus bestätigt hatten, dass die Wahlen überwiegend frei und fair vonstatten gegangen waren. So auch im jüngsten Fall, bei dem Ministerpräsident Sali Berisha und Oppositionschef Edi Rama die politischen Hauptrollen spielen.

Streit statt Dialogkultur

Oppositionsführer Edi Rama (Foto: AP)
Edi Rama will NeuwahlenBild: AP

Beide Protagonisten dieser politischen Zuspitzung entstammen einer Generation von Politikern, die im Kommunismus aufgewachsen war. Dialogkultur und Kompromissbereitschaft wurden im totalitären Schul- und Universitätssystem nicht gelehrt. In diesem Defizit erkennen Beobachter bereits die Wurzeln der heutigen Kultur der Konfrontation. In der postkommunistischen Zeit machten zudem viele dieser Politiker die Erfahrung, dass Protest und Rebellion sich eher auszahlten als die vergleichsweise zähe parlamentarische Arbeit.

Der jetzige Oppositionsführer und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama, steht auf der einen Seite des jüngsten Konflikts. Als Sprössling einer hochrangigen Familie, die eng mit der Partei verbunden war, und Sohn eines Monumentalbildhauers des Regimes in Tirana, schlug auch er eine Künstlerkarriere ein. Beim Zusammenbruch des Kommunismus lehrte Rama an der Kunstakademie.

Sali Berisha bei der Stimmabgabe (Foto: AP)
Sali Berisha wirft Opposition Putschversuch vorBild: AP

Auf der anderen Seite steht sein Rivale, Sali Berisha. Dieser stammte zwar aus ärmlicheren Verhältnissen im gebirgigen Norden, hatte im Kommunismus aber auch Karriere gemacht. Er studierte Medizin, wurde Kardiologe in Tirana und Parteisekretär an der medizinischen Fakultät. Gemeinsam ist beiden, dass sie sich mit dem Zusammenbruch des Kommunismus der Demokratiebewegung anschlossen.

Der Machtpolitiker und der Freigeist

Aber schon hier trennten sich ihre Wege. Berisha hielt sich seit dem Ende des Kommunismus an der Spitze der Demokratischen Partei. So wurde er auch der erste demokratisch gewählte Präsident des Landes. Während Berisha Parteipolitik betrieb, erfüllte sich Rama Mitte der 1990er Jahre in Tirana und später auch in Paris ein Leben als künstlerischer Freigeist und unangepasster Querdenker.

Unter Berishas Präsidentschaft von 1992 bis 1997 begann bereits der jahrzehntelange Machtkampf zwischen seinen Demokraten und der Sozialistischen Partei. Dieser eskalierte 1997 mit dem Zusammenbruch mehrerer betrügerischer Finanzanleger, die nach dem Schneeballprinzip arbeiteten und ungewöhnlich hohe Renditen versprachen. Hunderttausende betrogene Anleger rebellierten, stürmten Waffendepots und stürzten das Land für mehrere Monate in einen Zustand der Anarchie.

Ex-Premierminister Albaniens Fatos Nano (Foto: AP/Hektor Pustina)
Schon Fatos Nano hegte einen Groll gegen BerishaBild: AP

Nachdem sich die Lage mit Hilfe internationaler Vermittlung beruhigt hatte, folgte von 1997 bis 2005 eine Periode sozialistischer Regierungen unter Premierminister Fatos Nano. Dieser war ein ehemaliger kommunistischer Funktionär. In der Wendezeit war er zudem der letzte Premier des alten Regimes. Und vollzog dann jedoch die Wende seiner kommunistischen Arbeiterpartei in eine sozialdemokratisch orientierte Partei.

Berisha war nach den Unruhen 1997 diskreditiert und nahm in dieser Zeit die Oppositionsrolle ein. Seine Partei verfolgte anfangs ähnliche Strategien, wie die Opposition heute: Parlamentsboykotts, Demonstrationen und die Forderung nach Neuwahlen.

Dies war auch die Zeit, in der Rama, gegründet auf sein Image als unabhängiger Künstler und Intellektueller, einen Einstieg in die Politik fand. Zunächst wurde er, damals noch parteilos, 1998 Kultusminister unter Premier Nano. Im Jahr 2000 gewann er dann die Wahl zum Bürgermeister von Tirana. Als solcher verschaffte er sich vor allem durch kosmetische Maßnahmen bei der Stadtverschönerung, besonders durch das farbige Anstreichen der grauen Fassaden der Stadt, weltweiten Ruhm als unkonventioneller Querdenker.

Schlechter Verlierer

Erst 2005 gelang Berisha die Rückkehr an die Macht, diesmal als Regierungschef. Nanos Wahlniederlage eröffnete Rama, dem neuen Hoffnungsträger der Sozialisten, seine Chance: Er beerbte Nano als Parteivorsitzender. Aber die Niederlage seiner Partei gegen die Demokraten bei den darauffolgenden Parlamentswahlen im Juli 2009 konnte er nur schwer verkraften. Er warf Berisha Wahlbetrug vor, und verlangte eine Neuauszählung der Stimmen. Kenner der Lage unterstellen Rama jedoch, dass er das Wahlergebnis vor allem deshalb nicht anerkennen wollte, weil das seine politische Karriere schon früh beendet hätte. Der Grund dafür liegt im Statut seiner Partei. Demnach muß der Parteivorsitzende zurücktreten, falls er eine Wahl verloren hat. Rama wählte daher die Eskalation.

Ehemaliger Albanischer Stellvertretender premierminister Ilir Meta (Foto: AP/Hektor Pustina)
Der Ex-Sozialist Ilir Meta schloß sich Berisha anBild: AP

Nachdem in den umstrittensten Wahlbezirken Nachwahlen stattgefunden hatten und alle weiteren institutionell vorgesehenen Rechtswege ausgeschöpft waren, rief Rama im Frühjahr und Sommer 2010 zu Parlamentsboykott, Straßenprotesten und Hungerstreiks auf und errichtete ein Zeltlager vor den Toren des Regierungssitzes. Die sozialistischen Abgeordneten nahmen zwar an einer Sitzung des Parlaments teil, um ihren Amtseid abzulegen, und sich damit ihre Mandate und Diäten zu sichern, verließen danach aber wieder die Legislative.

Besonders schmerzhaft war für die Verlierer, dass Berisha nur mit Hilfe einer kleineren Linkspartei, der Sozialistischen Integrationsbewegung von Ilir Meta, die sich 2004 von den Sozialisten abgespalten hatte, eine Regierung bilden konnte. Nicht zuletzt deshalb war Metas Rücktritt wegen Korruptionsvorwürfen Mitte Januar für Rama auch ein passender Anlass, den Ruf nach Neuwahlen wieder auf die Straße zu tragen. Diese Proteste gerieten jetzt außer Kontrolle, als die Demonstranten versuchten, das Regierungsgebäude zu stürmen. Bis dahin war es bei den Protesten zwar immer wieder laut aber weitgehend gewaltfrei zugegangen.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Nicole Scherschun