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Finster war's

Angela Göpfert6. November 2006

Ein europaweiter Stromausfall sei jederzeit wieder möglich, warnen Experten. Die Netze seien durch den gestiegenen Stromhandel und die Windenergie überlastet. Italien fordert deshalb eine EU-Behörde für Stromnetze.

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Ein Strommast vor der tief stehenden Sonne
Dass von Deutschland ein Strom-Blackout ausging, ist kein ZufallBild: AP

Was wurde über das amerikanische Stromnetz nicht gewitzelt und gelacht: Hiesige Elektriker müssten ihre Arbeitserlaubnis abgeben, würden sie Stromkabel so verlegen wie ihre amerikanischen Kollegen, zählte dabei noch zu den freundlichsten Bemerkungen. Nach dem großen Blackout im Nordosten der USA, der 2003 mehr als 50 Millionen Menschen tagelang ohne Strom zurückließ, war bei vielen Europäern die Häme über das vermeintliche "Dritte-Welt-Land" USA groß.

Domino-Effekt

Das Kreuzfahrtschiff "Norwegian Pearl" liegt am Montag, 6. November 2006, am Kai der Meyer-Werft in Papenburg.
Die "Norwegian Pearl": Alles nur wegen diesem Schiff?Bild: AP

"Jetzt greift man sich endlich an die eigene Nase", sagt Hermann-Josef Wagner. Der geschäftsführende Direktor des Instituts für Energietechnik an der Ruhr-Universität Bochum kann so dem gigantischen Stromausfall von Samstagabend (4.11.) noch etwas Positives abgewinnen. Tatsächlich ist bei Politikern und Experten europaweit eine große Diskussion darüber entbrannt, warum in rund zehn Millionen Haushalten Westeuropas das Abendessen bei Kerzenschein verspeist werden musste.

Experten zufolge kam es am Samstagabend zu einem Domino-Effekt, als E.ON für die Durchfahrt des Kreuzfahrtschiffes "Norwegian Pearl" eine Hochspannungsleitung im Emsland abschaltete. "Wird eine Leitung vom Netz genommen oder ist sie überlastet, dann sucht sich die gleiche Strommenge über weniger Leitungen ihren Weg ins europäische Netz. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Leitungen ausfallen - bis hin zum völligen Blackout", erläutert Gert Brunekreeft, Leiter des bremer energie instituts, im Gespräch mit DW-WORLD.DE

Deutsches Netz ist "völlig überaltet"

Porträt von Prof. Dr. Gert Brunekreeft
Prof. Dr. Gert Brunekreeft leitet das bremer energie institutBild: presse

Dass der europaweite Blackout von Deutschland ausging, ist dabei kein Zufall. Denn das deutsche Stromnetz gilt als besonders störanfällig. "Hier werden enorme Mengen an Windenergie unkontrolliert ins Netz gespeist", betont Brunekreeft. Zudem ist durch die Liberalisierung des Strommarktes der grenzübergreifende Stromhandel sprunghaft gestiegen. Und Deutschland ist auch hier - wie schon für den LKW-Verkehr - Transitland. So leitet beispielsweise Polen enorme Strommengen über Deutschland nach Italien.

Diesen gestiegenen Kapazitätsanforderungen sei das "völlig überaltete" deutsche Netz aber nicht gewachsen, meint Wagner. Es bestünde ein "enormer Investitionsbedarf, den der Bochumer Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft auf zehn bis 15 Milliarden Euro für die kommenden 20 Jahre beziffert.

Musterschüler Deutschland in der Kritik

Eine Frau liest in Ochtrup im Münsterland während eines Stromausfalls bei Kerzenschein am Kamin
Die romantische Seite eines Stromausfalls (Archivbild)Bild: picture-alliance / dpa

Dabei gilt Deutschland eigentlich als "Vorzeigenation" in punkto sichere Stromnetze. Noch im Frühjahr 2006 teilte der Verband der Netzbetreiber stolz mit, das deutsche Stromnetz sei das zuverlässigste in ganz Europa. Während in Deutschland pro Jahr und Kunde nur für 23 Minuten der Strom ausfalle, liege der Stromausfall in Frankreich, Großbritannien und Italien bei mindestens einer Stunde, in den USA sogar bei fast vier Stunden.

Angesichts der grenzübergreifenden Auswirkungen eines überlasteten Stromnetzes ist eine solche feinsäuberliche Unterscheidung nach Ländern allerdings Makulatur. Der Bremer Energie-Experte Brunekreeft warnt: "Ein europaweiter Stromausfall wie am Wochenende könnte jederzeit wieder passieren."

Ein "Europa der Energie" als Lösung?

Arbeiter auf einem Strommast
Tun die Netzbetreiber zuwenig für den Erhalt ihrer Netze? (Archivbild)Bild: AP

Genau das will der italienische Ministerpräsident und frühere Chef der EU-Kommission Romano Prodi aber verhindern - mit Hilfe einer europäischen Stromnetzbehörde. Während sich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel dagegen aussprach, will auch Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin ein "Europa der Energie" schaffen.

Doch Prodis Vorschlag könnte für Italien nach hinten losgehen. Einer europäischen Regulierungsbehörde wären nämlich neben dem ausbaubedürftigen deutschen Stromnetz auch die mangelnden Kraftwerkskapazitäten Italiens ein Dorn im Auge. "Denen fehlt das Äquivalent von fünf Kraftwerken", unterstreicht Wagner. Der Energie-Experte fordert weitreichende Kompetenzen für die EU-Regulierungsbehörde. "Könnte sie zum Beispiel Italien vorschreiben, seine Kraftwerkskapazitäten aufzustocken, dann wäre sie ein notwendiger Segen."