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Stell' Dir vor, es ist Ostern und keiner marschiert

Marlis Schaum16. April 2006

In der 1980-er Jahren erlebten die traditionellen Ostermärsche in Deutschland ihren Höhepunkt. Für den Weltfrieden gingen damals Millionen von Menschen auf die Straße. Heute lahmt die Friedensbewegung.

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2005 marschierten nur noch 30.000 Menschen in Deutschland mitBild: AP
Ostermarsch Demonstration in 1982
Die 80er: Höhepunkt der FriedensdemosBild: AP

"Nein zum Krieg gegen den Iran", steht in dicken Lettern auf den bereits vorbereiteten Plakaten; und: "Wir wollen, dass sich Deutschland nicht länger an Kriegen beteiligt!" Denn zu Ostern wird in Deutschland traditionell demonstriert und marschiert - für nichts Geringeres als den Weltfrieden. Die so genannten Ostermärsche gibt es schon seit den 1960er Jahren. Der Höhepunkt der Friedensdemonstrationen wurde in den 1980er Jahren erreicht, als die Angst vor einem dritten Weltkrieg die Menschen umtrieb. Seitdem ist es zwar ruhiger geworden um die deutsche Friedensbewegung - gestorben ist sie allerdings noch lange nicht.

Marschieren aus Tradition

Doch in der Bonner Innenstadt ist der Funke der Friedensbewegung scheinbar nicht mehr zu spüren. "Ich laufe nicht gern mit, auch wenn ich es für richtig halte", sagen die Passanten. Oder: "Marschieren aus Tradition ist nicht mehr sinnvoll." Ostermärsche für den Frieden elektrisieren hier kaum jemanden. Ganz im Gegensatz zum Herbst 1983. Da protestierten hunderttausende Menschen auf der Wiese vor dem Bonner Schloss, dem so genannten Hofgarten, gegen atomare Aufrüstung. Manfred Stenner, Geschäftsführer des "Netzwerk Friedenskooperative" in Bonn, hatte an diesem Tag alle Hände voll zu tun. Er erinnert sich noch genau an das Glücksgefühl, wenn die Veranstaltung erst lief, und er wusste: "Das habe ich mit auf die Beine gestellt."

Stenner ist 52 Jahre alt und unbeirrbar. Seit zwanzig Jahren arbeitet er hauptberuflich für den Frieden und betreibt mit Kollegen das "Netzwerk Friedenskooperative". Sie informieren über Aktionen der zahlreichen Friedensorganisationen in Deutschland, sammeln Daten und vermitteln Kontakte. Als Verwaltungschef gehört es zu Stenners Aufgaben, die Buchführung zu machen. Alles wird finanziert durch Spenden und den Verkauf einer Zeitschrift. 800 Euro verdient Stenner im Monat. Zwar sei er in der Lage, eine Großdemo mit 200.000 oder mehr Leuten auf die Beine zu stellen, sagt Stenner. "Aber nach gängigen Kriterien ist aus mir nichts geworden, weil ich tatsächlich mit Selbstausbeutung so eine Art Hungerjob habe."

Das Auf und Ab der Bewegungen

Friedensaktivisten wie Manfred Stenner gibt es nur noch wenige in Deutschland. Er lebt seine Ideale und hat dennoch eingesehen, dass die Friedensbewegung sich längst verändert hat: Heute ist weniger Idealismus und dafür mehr Information für die Demonstranten gefragt.

Wenn einige Journalisten dann zu Ostern hämisch die vereinzelten Marschierer für den Frieden zählen, lächelt Stenner. Er weiß, dass die Zeit der Friedensbewegung wieder kommen wird. Auch Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler an der Uni Köln, erwartet das. Denn es sei ganz normal, dass es bei solchen sozialen Bewegungen, die tief verwurzelt seien in einer Gesellschaft, Auf- und Abschwünge gebe, sagt Butterwegge. "Denn die Menschen haben ja anderes zu tun, müssen sich um ihre Familie kümmern, darum, dass sie nicht arbeitslos werden. Sie können nicht immer Friedensarbeit leisten."

Abhängig von der Weltlage

In den Anfängen der deutschen Friedensbewegung in den 1960er Jahren demonstrierten einzelne christliche und pazifistische Gruppen aus moralischer Überzeugung gegen die atomare Aufrüstung. In den 1980er Jahren trieb die Angst vor einem Atomkrieg schon Hunderttausende auf die Straße. "Damals lebte die Bundesrepublik neben der noch bestehenden DDR ja an der Nahtlinie dieses Systemkonflikts zwischen Ost und West. Da war jedem tagtäglich durch die innerdeutsche Grenze bewusst: Hier ist ein Konfliktherd", erklärt Butterwegge. Dieses Bewusstsein sei einfach präsenter gewesen als heute.

Es klingt einleuchtend: Die Friedensbewegung ist in Deutschland nur dann wirklich stark, wenn sich die Menschen in ihrer Sicherheit bedroht fühlen. Zu Beginn des Irakkrieges 2003 erlebte sie noch einmal einen großen Zulauf - eine halbe Million Menschen demonstrierten allein in Berlin. In diesem Jahr beschäftigt die Menschen ein möglicher Krieg gegen den Iran. Die Friedensbewegung gehört also noch nicht der Vergangenheit an. Über 70 Demonstrationen sind in diesem Jahr in ganz Deutschland geplant - so viele wie sonst nirgendwo in Europa. Auch, wenn nur ein paar hundert Menschen mitgehen.