1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Scholz betont bei Erdogan-Besuch Verteidigungsrecht Israels

17. November 2023

Kanzler Olaf Scholz hat vor seinem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für gute bilaterale Beziehungen geworben. Zugleich sagte Scholz: "Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstößlich."

https://p.dw.com/p/4Z33P
Erdogan besucht Scholz in Berlin
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim Treffen mit Kanzler Olaf Scholz in BerlinBild: REUTERS/Fabrizio Bensch

Bundeskanzler Olaf Scholz hat beim ersten Deutschland-Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan seit fast vier Jahren das Selbstverteidigungsrecht Israels betont. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Erdogan sagte er in Berlin, Israel habe "das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen". Deutschland sei zugleich einer der größten Unterstützer für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen. An Erdogan gerichtet sagte Scholz, es sei "kein Geheimnis", dass "wir zu dem aktuellen Konflikt zum Teil sehr unterschiedliche Sichtweisen haben".

Erdogan und er teilten aber die "Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten", sagte Scholz bei der Pressekonferenz, die vor einem Gespräch und einem Abendessen der beiden Politiker stattfand. "Jedes Leben ist gleich viel wert", fügte er an. Auch das "Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung" bedrücke die Bundesregierung. Es gehe nun darum, wie eine "weitere Eskalation in der Region" verhindert werden könne.

Erdogan verlangt humanitäre Waffenruhe

Erdogan prangerte seinerseits im Bundeskanzleramt Israels Vorgehen im Gazastreifen an. "Wir sprechen von 13.000 Kindern, Frauen, alte Menschen, die getötet worden sind", sagte er. Inzwischen gebe es fast keinen Gazastreifen mehr. "Alles ist dem Erdboden gleichgemacht worden", unterstrich Erdogan. Zwar spreche derzeit "jeder" von der Hamas, aber die militärische Macht der radikalislamischen Palästinenserorganisation sei nicht vergleichbar mit jener Israels. Die Hamas wird außer von Israel auch von den USA, der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft. Außerdem forderte der türkische Präsident eine humanitäre Waffenruhe im Hamas-Israel-Krieg. Wenn Deutschland und die Türkei gemeinsam einen solchen Waffenstillstand erreichen könnten, habe man die Chance, die Region aus diesem "Feuerring" zu retten. Für eine Lösung des Konflikts im Nahen Osten erscheine eine "Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967" nötig.

Türkischer Präsident Erdogan auf Deutschlandbesuch

Scholz zählte mehrere Themen auf, die er bei dem folgenden Abendessen im Kanzleramt mit Erdogan besprechen wollte. Dazu gehört der NATO-Beitritt Schwedens, über den in der Türkei noch beraten wird. "Wir hoffen auf einen baldigen positiven Beschluss", sagte Scholz. Deutschland und die Türkei eine das Ziel, irreguläre Migration begrenzen zu wollen. Scholz nannte das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei aus dem Jahr 2016 eine "gute Vereinbarung". Er setze sich in der EU dafür ein, dass diese fortgesetzt werde. Man werde auch über die Frage der Rückführungen sprechen müssen.

Steinmeier bekräftigt deutsche Positionen

Zu Beginn des Kurzaufenthalts wurde Erdogan von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen. Dabei machte Steinmeier nach Angaben des Bundespräsidialamts gegenüber dem türkischen Staatschef die "deutsche Position mit Nachdruck deutlich". Eine Sprecherin des Amtes erklärte im Online-Dienst X, der Bundespräsident habe "die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen". Zudem habe er "das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben".

Erdogan Besuch in Berlin, Steinmeier
Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Besuch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Bild: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Erdogan und Steinmeier hätten indes gemeinsam betont, dass es eine "dauerhaft friedliche Zukunft in der Region" nur "auf dem Weg hin zur Zweistaatenlösung" geben könne. Beide Präsidenten seien zudem übereinkommen, dass "alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssen, zur Befreiung der Geiseln beizutragen und die regionale Ausweitung des Konflikts zu verhindern."

Zündstoff durch Erdogans Verbalattacken

Der Besuch war vor allem wegen der scharfen Verbalattacken Erdogans gegen Israel seit Beginn des Hamas-Israel-Kriegs umstritten. Erdogan warf dem Land einen "Genozid" (Völkermord) im Gazastreifen und "Faschismus" vor, nannte Israel einen "Terrorstaat" und stellte das Existenzrecht Israels in Frage und bezeichnete die militant-islamistische Palästinensergruppe Hamas als "Befreiungsorganisation". Israel versuche, "einen Staat aufzubauen, dessen Geschichte nur 75 Jahre zurückreicht und dessen Legitimität durch den eigenen Faschismus infrage gestellt wird", sagte er Ende vergangener Woche. Die deutsche Sichtweise ist genau umgekehrt. Die Hamas ist hierzulande als Terrororganisation eingestuft, und die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.

Scholz hat diese Vorwürfe Erdogans als "absurd" zurückgewiesen. Er sieht den türkischen Präsidenten trotzdem als wichtigen Gesprächspartner zum Beispiel für die Steuerung der Zuwanderung nach Europa an. Vor allem die kurdische Gemeinde sowie der Zentralrat der Juden halten den Besuch Erdogans zum derzeitigen Zeitpunkt für unangebracht. Kritik kam aber auch von der Linken und Vertretern der Grünen.

Türkei will Eurofighter kaufen

Nach Ansicht von Beobachtern könnte bei dem Treffen zwischen Scholz und Erdogan auch ein türkischer Rüstungswunsch zur Sprache kommen. Die Türkei will ihr Verteidigungsarsenal mit 40 Eurofightern aufstocken und hofft dazu auf Zustimmung aus Deutschland. Der deutschen Regierung sei der Sachverhalt nicht fremd, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin und verwies auf die gängigen Verfahren von Rüstungsankäufen. Der türkische Verteidigungsminister Yasar Güler hatte am Donnerstag gesagt, Großbritannien und Spanien hätten dem Vorhaben bereits zugestimmt. Deutschland ist an der Produktion der Eurofighter beteiligt. Deswegen ist ein Ja der Bundesregierung bei jedem Exportgeschäft erforderlich.

Zwischen NATO und Hamas: Was ist Erdogans Strategie?

Der Berlin-Besuch des türkischen Präsidenten kann aus Sicht der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz wichtig für die Deeskalation im Nahost-Konflikt sein. Erdogan habe "unbestreitbar" Kontakte zur Hamas und könne beschwichtigend einwirken, sagte Özoguz dem Sender RBB. Trotz "gravierender Differenzen" zwischen Deutschland und der Türkei sei es gerade in der aktuellen Konfliktsituation deshalb wichtig, im Gespräch zu bleiben. Die SPD-Politikerin verwies etwa auf das türkische Engagement bei der Aushandlung des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine.

kle/gri/pg (dpa, afp, rtt)