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Propaganda in Paris

Jan Ludwig 24. Juni 2008

In Paris sorgt die Fotoausstellung "Pariser in der Besatzungszeit" für Diskussionen. Bisher hat sie 30.000 Menschen in die kleine Pariser Stadtbibliothek gelockt – mit Propagandafotos aus der Nazizeit.

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Bild mit Menschen auf großem Platz in Paris aus der Ausstellung "Les Parisiens sous l'Occupation"
Prachtstraße mit Hakenkreuzfahnen und blauem HimmelBild: André Zucca/BHVP/Roger Viollet

Die Ausstellung "Pariser in der Besatzungszeit" zeigt die einzigen Farbfotos von Paris im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzung. Die Bilder des Propaganda-Fotografen André Zucca verstören die Franzosen. Sie zeigen modisch gekleidete Café-Besucher in der Sonne, Hakenkreuzfahnen und Filmplakate, flanierende Pariser neben marschierenden Wehrmachtsoldaten. Wenig deutet darauf hin, dass die Bevölkerung unter Lebensmittelknappheit litt, Exekutionen an der Tagesordnung waren, Juden deportiert wurden und es einen organisierten Widerstand gab.

Nicht nur Motive, sondern

Foto aus Ausstellung Les Parisiens sous l'Occupation, Frauen mit Sonnenbrillen(Fotos: André Zucca)
Besatzungszeit oder Freizeit?Bild: André Zucca/BHVP/Roger Viollet

Die Verantwortlichen der Pariser Stadtbibliothek wundern sich über die Schärfe der Polemik, die ihre Ausstellung entfacht. Man habe schlicht die einzigen Farbfotos von Paris aus der Besatzungszeit zeigen wollen, die es gibt.

Viele Besucher kritisieren, dass die Bilder einen falschen Eindruck hinterlassen. Eine ältere Dame meint, es gehe ihr ums Prinzip. "Man hätte diese Ausstellung mit viel mehr Erläuterungen ausstatten sollen, für die Generationen, die danach geboren sind, die das nicht gekannt haben. Wenn man nicht unter einer Besatzung gelebt hat, kann man das einfach nicht nachvollziehen."

Sie und ihr Mann waren beide 15, als die Deutschen Frankreich besetzten. Jetzt stehen sie in der Ausstellung und fragen sich, wie diese auf die 15-Jährigen von heute wirken muss. Der ältere Mann zeigt auf ein Foto, dass eine Gruppe junger Pariser zeigt, die verträumt an der Seine stehen und in die Sommersonne blinzeln. Weit und breit kein Wehrmachtssoldat zu sehen.

Zu wenig Lebensrealität?

Dieses Elend, das es damals gegeben habe, das finde man in dieser Ausstellung nicht - von einigen Bildern von Les Halles mal abgesehen, kritisiert der Mann. "Da suchten die Menschen in den Mülleimer nach etwas zu essen, weil es nichts zu beißen gab. Die Erwachsenen haben das bisschen, was sie hatten, noch geteilt, um es ihren Kindern zu geben", erzählt er.

Eine, die es nicht erlebt hat, ist eine junge Französin. Sie meint, man müsse die Ausstellung so nehmen, wie sie ist: eine Präsentation von Lebenssituationen. "Das finde gerade so interessant: Es ist nichts gestellt. Das Leben wird so gezeigt, wie es war, so, wie es die Pariser damals gelebt haben. Vielleicht sogar ohne allzu sehr an den Krieg zu denken."

Nur Bilder im Kontext

Foto aus Ausstellung Les Parisiens sous l'Occupation, Straßenszene (Fotos: André Zucca)
Pariser Leben unter der Besatzung - PropagandafotosBild: André Zucca/BHVP/Roger Viollet

Bemängelt wurde ebenfalls, dass die Ausstellung schlecht beschildert sei. Als die Kritik auch aus dem Rathaus kam, reagierten die Kuratoren. Jetzt werden Hinweiszettel verteilt, auf denen die Entstehung der Fotos in einen Kontext gesetzt wird.

Eine Frage drängt sich nach dem Besuch der Ausstellung auf: Wie wird es erst sein, wenn eines Tages keine älteren Pärchen mehr da sind, die einem ihre Geschichte aus der Zeit erzählen können? Im Februar 2008 hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagen, jedem zehnjährigen Schulkind ein etwa gleichaltriges Holocaust-Opfer zuzuordnen - gewissermaßen als historische Patenschaft. Damals sprach er vom "Geschenk der Erinnerung". Als Geschenk können die meisten Holocaust-Überlebenden ihre Erinnerungen jedoch sicherlich nicht betrachten.