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Rechtsruck in Ungarn

Stephan Ozsváth28. April 2008

Seit einigen Monaten verbreiten sie Schrecken, bevorzugt in den Vierteln und Städten Ungarns mit hohem Roma-Anteil: die Anhänger der rechtsextremen Partei „Jobbik“. Fast täglich marschieren sie auf.

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Members of the controversial new extreme-right "Magyar Garda" or Hungarian guard are seen during their swearing-in ceremony in Budapest, Hungary; Saturday, Aug: 25, 2007. Magyar Garda members wear uniforms bearing a variation on the red-and-white Arpad Stripes associated with Hungary's Nazi-aligned Arrow Cross party in power during WWII. The creation of the guard by extreme-right party Jobbik had raised fears among the Jewish community both in Hungary and internationally. Prior to the establishment of the Magyar Garda, Hungarian Jews had been warning that anti-Semitism was on the rise. (AP Photo/Bela Szandelszky)
Professionelles Auftreten - die Magyar Garda, ein Ableger der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik. Als Vorbild dient den Ungarn hier die Sturmabteilung (SA) des Dritten Reiches unter Adolf Hitler.Bild: AP

Zunächst die Regierungskrise wegen koalitionsinterner Streitereien und dann die so genannte "Lügenrede" von Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány sind ein gefundes Fressen für die Rechtextremen in Ungarn. Seither kann man sie beinahe jeden Tag auf den ungarischen Straßen sehen und hören, denn sie marschieren und demonstrieren vor allem gegen die von ihnen so bezeichnete "Zigeunerkriminalität". Allen voran die Mitglieder von "Jobbik", was übersetzt die "Rechteren" oder "Besseren" heißt. Aber auch ihr Ableger, die Wehrsportgruppe "Magyar Garda", Ungarische Garde, verbreitet Schrecken.

Das Internet als Medium und Austausch für die ungarischen Rechten

Sie singen Loblieder auf die weiße Rasse und Hetzparolen gegen Juden oder Roma. Rassismus ist in Ungarn nur einen Mausklick entfernt, denn zahlreiche Lieder der Rechtsextremen kann man im Internet finden. Eines davon ist "Majmok", das "Affen" bedeutet. Es diffamiert die rund 600.000 Roma im Land als Sozialschmarotzer und jeder kann das Lied im Internet-Portal "You Tube" abrufen: "Nemzeti Rock" – Nazi-Rock auf Ungarisch.

"Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt", heißt es im Text und im Refrain werden die "Affen" symbolisch für die ungarischen Roma-Familien verwendet. Das ist ganz nach dem Geschmack von Gábor Szabó. Er leitet das Büro der rechtsextremen Partei "Jobbik" und meint, dass es nicht um die Zigeunerfrage gehe. "Es geht um Zigeunerkriminalität. Das Thema ist tabu. Wir wollen das ändern." Jobbik wolle vor allem Spezialeinheiten bei der Polizei, ähnlich wie die Anti-Terror-Einheiten. Die Regierung und die Gesellschaft müssen hier Härte zeigen.

Viel Getöse, wenig Inhalt?

Members of the far-right paramilitary group Hungarian Guard take the oath in Budapest, Hungary, 25 August 2007. Related to the rightist Jobbik party, the black uniformed ?guard?s? only 55 members to start with the black uniforms and insignia associated with fascism have triggered protests from international and local Jewish and human rights groups. EPA/TAMAS KOVACS (zu dpa 0398) +++(c) dpa - Report+++
Die jüdische sowie die Gemeinde der Sinti und Roma wehren sich gegen die Aufmärsche der Ungarischen Garde in ihren Vierteln.Bild: picture-alliance/ dpa

Trommeln, Stiefel im Gleichschritt, rot-weiß-gestreifte Fahnen und Männer und Frauen in Phantasie-Uniformen: Seit vergangenem Sommer hat "Jobbik" eine eigene "Parteiarmee" – tatsächlich angelehnt an die Sturmabteilung (SA) der Nazis in Deutschland. Zu Kundgebungen und Demonstrationen marschieren die Männer und Frauen der "Ungarischen Garde" so durch Roma-Viertel wie Olaszliszke, Kerepes, Tatárszentgyörgy und verbreiten Schrecken.

Bei den Roma dort geht die Angst um. "Wer keine hat, der ist einfach nur dumm", sagt ein junger Roma. Die Rechtsextremen sind gut untereinander und mit anderen Organisationen vernetzt, sogar mit der NPD in Deutschland. Ihre Feindbilder geben sie offen und eindeutig preis: die linksliberale Regierung in Ungarn, Juden, Roma und Homosexuelle. Endre Bojtár, Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung "Magyar Narancs" hat sich mit dieser Weltansicht auseinander gesetzt: "Alles Schlechte ist das Werk des Westens, der Juden, der ungarischen Verräter." Traurig sei daran, dass gerade bei den Rechtsextremen die völkische Ideologie ist lebendig geblieben sei.

Gegen alles und jeden, der anders ist als sie

An injured unidentified German man is comforted by his companion after he was beaten by anti-gay demonstrators during the 11th Gay Pride Day parade in Budapest, Hungary, Saturday, July 7, 2007. Some 2,000 people participated in the parade while hundreds of demonstrators protested against the event. Moments later the man was taken to hospital by an ambulance. (AP Photo/MTI, Zsolt Szigetvary)
Gewalt gegen Homosexuelle während der 11. Gay Pride Day Parade in Budapest am 07. Juli 2007. Kurz zuvor hatten Gegner der Parade den Mann (links) verprügelt, weil er schwul ist.Bild: AP

Auch in den Medien spürt man den Aufwind der Rechtsextremen: Ein offen antisemitischer Zeitungsartikel des Publizisten Zsolt Bayer in der Zeitung "Magyar Hírlap" erregte jüngst Aufsehen. 100 Intellektuelle wandten sich zwar in einem offenen Brief gegen den Hetz-Artikel und seinen Verfasser, dennoch sei der Geist des Antisemitismus aus der Flasche, meint Ernö Lazarovics, vom Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden MAZSIHISZ. "Da erhalten Rabbiner Hassbriefe und jüdische Friedhöfe werden vandalisiert. Nach der politischen Wende trat das alles offen ans Licht."

Im Parlament sitzt zwar derzeit keine rechtsextreme Partei, aber die Politik mache es den Rechtsextremen leicht, meint Lászlo Láner. Er gibt das Schwulenmagazin "Mások", übersetzt "Die Anderen", heraus. Bei der letzten "Gay Pride Parade" beobachtete er, wie Teilnehmer angegriffen wurden wegen ihrer Homosexualität. "Da wurden Parolen gerufen wie "Juden in die Donau. Und die Schwulen hinterher", erzählt Láner. Es seien Hetz-Transparente hochgehalten worden und die Polizei habe zugeguckt. All das sei sogar in Videos dokumentiert worden und dennoch sei keiner deswegen belangt worden. "Das ermutigt solche faschistischen Gruppen natürlich: Sie können machen, was sie wollen", meint Láner.

Machtlose ungarische Regierung

Hungarian Prime Minister Ferenc Gyurcsany gestures while giving an exclusive interview for AP in Budapest, Hungary, on Tuesday, Sept. 19, 2006. Gyurcsany vowed in the interview to stay in office and carry out economic reforms, despite overnight riots he described as "the longest and darkest night" for the country since the end of communism in 1989. (AP Photo/Bela Szandelszky)
Der ungarische Premier Ferenc Gyurcsány hat derzeit wenig zu lachen. Zuerst die Regierungskrise mit den Koalititonspartnern und nun der starke Aufmarsch der Rechtsextremisten.Bild: AP

Die größte Oppositionspartei, der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz, will nun an die zwölf Prozent der rechtsextremen Wähler heran. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány von den Sozialisten scheint machtlos dagegen zu sein. Zwar kritisierte er die Aufmärschen der "Ungarischen Garde" und bezeichnete sie als "Nationalsozialismus pur", doch ein Volksverhetzungsparagraph, der bereits vom Parlament verabschiedet wurde, steckt noch immer beim Staatspräsidenten in der Warteschleife.

Über ein Verbot der Ungarischen Garde entscheidet die Budapester Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls erst Mitte Mai, während die ungarischen Rechtsextremen vorerst ungestört weiter marschieren.