1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Machtkampf Jemen

5. Juni 2011

Trotz internationaler Appelle weigert sich Langzeitpräsident Saleh beharrlich, sein Amt zu verlassen. Um an der Macht zu bleiben, scheint er sogar einen Bürgerkrieg zu riskieren.

https://p.dw.com/p/11OX9
Demonstrationen gegen Jemens Präsident Saleh (Foto: AP)
Wer wird Saleh weiter unterstützen?Bild: dapd

Der seit fast vier Monaten anhaltende Machtkampf im Jemen wird immer blutiger. Regierungstruppen und oppositionelle Stammeskämpfer liefern sich in der Hauptstadt Sanaa seit Tagen erbitterte Gefechte. Dabei kam es bereits zu Dutzenden von Toten. Sogar Saleh selbst wurde bei einem Angriff auf seinen Palast am Freitag, 03.06.2011 verletzt. Derzeit wird er in Saudi-Arabien medizinisch behandelt. Langzeitpräsident Ali Abdullah Saleh weigert sich dennoch beharrlich, von seiner Macht zu lassen. Wie lange er sich aber noch halten kann, ist fraglich.

Dabei schien zwischenzeitlich schon alles perfekt: Die Golfstaaten hatten einen Fahrplan für eine Machtübergabe und baldige Neuwahlen ausgearbeitet. Die Opposition und sogar Mitglieder von Salehs Regierungspartei unterschrieben den Vertrag auch. Saleh jedoch verweigerte die Unterschrift dreimal hintereinander, unter anderem mit der Begründung, er werde nicht zulassen, dass der Jemen zu einem Zufluchtsort für Al-Kaida-Kämpfer werde.

Für Elham Manea ist das keine Überraschung: "Ich habe nie daran geglaubt, dass Saleh das Abkommen unterschreiben wird", sagt die Politologin von der Universität Zürich, die selbst jemenitischer Herkunft ist. "Saleh ist der Meister des politischen Überlebens. Er spielt dieses Spiel bis zum bitteren Ende - selbst, wenn er sich dabei von seinen Verbündeten verabschieden muss."

Stämme wenden sich ab

Rauchwolken in Sanaa nach Gefechten zwischen der Armee und den Haschid-Kämpfern (Foto: DPA)
Seit Tagen kommt es zu Gefechten zwischen der Armee und den Haschid-KämpfernBild: picture alliance / landov

Seine Verbündeten - das waren jahrelang die USA und Saudi-Arabien und natürlich auch sein eigener Clan: die Sanhan, die zur Stammesföderation der Haschid gehören. Inzwischen kämpfen auch Angehörige des Haschid-Stammes offen gegen die Truppen von Saleh. Auch andere Stämme haben sich von ihm abgewendet. Eine wichtige Rolle spielt dabei Scheich Sadek al-Ahmar, Chef der Föderation der Haschid, des größten Stamms des Landes, dem auch Präsident Saleh selbst angehört. Al-Ahmars Vater, Abdallah al-Ahmar, war Salihs wichtigster Verbündeter. Er hatte vor 33 Jahren unter anderem mit dafür gesorgt, dass Saleh in das Amt des Präsidenten gehoben wurde.

Als Saleh anfing, brutal gegen seine eigenen Leute vorzugehen, schlug sich Sadek al-Ahmar im März 2011 auf die Seite der Opposition. Inzwischen ruft er den Präsidenten zum Verlassen des Landes auf. Das Vorgehen Salehs sei allerdings nicht der einzige Grund für das Umschwenken des Stammeschefs Al-Ahmar und anderer Stammesführer gewesen, so Manea. "Viele von Salehs Anhängern hatten Angst, dass die Proteste zugunsten der Demonstranten ausgehen würden, so wie in Tunesien und Ägypten. Sie wollten sich retten und haben sich daher von Saleh abgewandt", so die Politologin. Verärgert habe manche zudem, dass Saleh ihm besonders nahestehende Gefolgsleute finanziell begünstigt habe.

Dabei geht Saleh eigentlich das Geld aus. 75 Prozent seines Haushalts bestreitet der Jemen aus Öleinnahmen. Doch die Ölproduktion geht seit 2001 stetig zurück. Spätestens in zehn Jahren wird der Jemen kein Öl mehr haben, prophezeien Experten. Zudem schrumpfen die Wasserreserven und die Bevölkerung verarmt. Fast die Hälfte der 23 Millionen Jemeniten muss mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Der Jemen ist das ärmste arabische Land. "Eine verantwortungsbewusste Regierungsführung war Saleh allerdings nie wichtig", sagt Manea. Auch deshalb sei das Land politisch und wirtschaftlich heute in solch einer schwierigen Lage.

Jahrelange Rückendeckung

Sadek al-Ahmar im Jemen (Foto: DPA)
Früher war Sadek al-Ahmar (r.) ein Befürworter SalehsBild: picture-alliance/dpa

Die USA hatten Saleh bis vor einigen Monaten noch jahrelang den Rücken gestärkt - aus Sorge vor einem wachsenden Einfluss von Al-Kaida. Das Terrornetzwerk ist bereits seit den 1990er Jahren im Lande aktiv und nutzt dabei aus, dass die Zentralregierung in zahlreichen Landesteilen nur wenig Einfluss hat. "Die Unterstützung von Präsident Barack Obama hatte Saleh nur deshalb, weil er seit Jahren auf die Karte Al-Kaida gesetzt hat", sagt Nahost-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz. "Er galt als Garant dafür, dass Al-Kaida nicht die Macht im Jemen übernimmt." Tatsächlich hat das Land neben der Präsenz von Al-Kaida viele weitere Probleme, die die Eskalation um das Präsidentenamt noch unübersichtlicher machen könnten: Im Süden gibt es weiterhin Kräfte, die eine neuerliche Abspaltung des bis 1990 unabhängigen Landesteils fordern.

Und im Norden, an der Grenze zu Saudi-Arabien, rebelliert der Clan der "Houthis" seit 2004 gegen die Zentralregierung und fordert damit auch den Nachbarn Saudi-Arabien heraus, der dort 2009 mit eigenen Truppen intervenierte. Saudi-Arabien hat Saleh inzwischen die Unterstützung entzogen, obwohl es ihn bisher aus Sorge um einen wachsenden Einfluss schiitischer Muslime an der gemeinsamen Grenze unterstützt hatte.

Inzwischen verlangen Saudi-Arabien und auch die USA von Saleh deutlich, das von den Golfstaaten ausgehandelte Abkommen unverzüglich umzusetzen und baldmöglichst zurückzutreten. Auch die deutsche Bundesregierung ruft Saleh zur Unterschrift auf. Bislang belässt es die internationale Gemeinschaft bei Appellen, doch Sanktionen werden bereits diskutiert.

Junge gehen auf die Straße

Karte des Jemen (Foto: DW)
Im Süden gehen die Separatisten auf die Barrikaden - im Norden die Houthis

Die internationale Gemeinschaft unterstützt das Abkommen der Golfstaaten in der Hoffnung, dadurch im Jemen eine geregelte Machtübergabe zu ermöglichen. "Dahinter steht die Furcht, dass andernfalls tatsächlich die Straße die Macht übernehmen wird", so Meyer. "Dies wird besonders in Saudi-Arabien so gesehen, aber durchaus auch in den USA."

Die Straße - das sind allerdings auch die jungen Menschen, die seit fast vier Monaten unbewaffnet für Demokratie demonstrieren und durch die neueste Eskalation an den Rand gedrängt werden könnten. "Es handelt sich um eine echte demokratische Bewegung, von Liberalen bis hin zu Linksgruppierungen", sagt Meyer. "Sie sind überwiegend unter 30 Jahre und kämpfen im ganzen Land gemeinsam unbewaffnet für einen vereinten Jemen." Wenn diese Kräfte sich langfristig in freien Wahlen durchsetzen könnten, dann hätte das Land eine Chance, das drohende Chaos abzuwehren, meint Meyer.

Ein zweites Somalia?

Derzeit allerdings stehen die Zeichen auf Eskalation. "Was nun geschieht, ist genau das, was Saleh all die Jahre gefürchtet hatte", sagt Gregory Johnsen von der Universität Princeton. "Seine Feinde bilden eine temporäre Zweckallianz. Er wird es nicht schaffen, das politisch zu überleben."

Weniger optimistisch sieht dies die Politikwissenschaftlerin Elham Manea: "Wer seine Politik in den letzten 33 Jahren verfolgt hat, der weiß, dass Saleh nicht einfach aufgeben wird." Ihm gehe es einzig und allein um Machterhalt, so die Jemenitin. "Es hängt jetzt ganz stark davon ab, wie sich die anderen großen Föderationen wie die Baquil oder Madhashi Föderation verhalten", meint Manea. Sie sieht das Land bereits vor einem Bürgerkrieg: "Die Haupteliten bekämpfen sich jetzt gegenseitig", meint sie. "Und es waren diese Eliten, die das politische System von Saleh aufgebaut haben. Die Stabilität dieses Systems war auf den Zusammenhalt und die Stärke dieser Eliten angewiesen", so Manea. Wenn jetzt alles zusammenbreche, befürchtet die Expertin, "dann könnte der Jemen ein zweites Somalia werden."

Autorin: Diana Hodali

Redaktion: Rainer Sollich / Lina Hoffmann