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Integrationsversprechen

Hans-Günter Kellner11. August 2008

Politische Integration soll Parallelgesellschaften in Spanien verhindern und ein Gemeinwesen ermöglichen. Spaniens Regierung will mit dem kommunalen Wahlrecht für Einwanderer nun endlich ernst machen.

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Eine Wählerin steckt ihre Stimmzettel in die Wahlurne(26.09.2004/dpa)
Einwanderer sollen das kommunale Wahlrecht erhaltenBild: AP/DW

Der große Pendlerbahnhof Atocha in Madrid. Narcisa Pijal ist nach dem Feierabend in einem Altenwohnheim auf dem Weg nach Hause und gönnt sich an der Imbissbude einen Kaffee mit Eis. Den Plänen der spanischen Regierung zufolge sollen Einwanderer wie sie das aktive und passive kommunale Wahlrecht erhalten, also auch Stadtverordnete oder sogar Bürgermeister werden können. Doch die 44-Jährige ist skeptisch. Es wäre gut für die Integration, meint sie, dass die Einwanderer auch an den Urnen entscheiden dürften. "Aber da gibt es dieses Problem der Gegenseitigkeit. Spanier müssten in unseren Herkunftsländern das gleiche Recht haben. Es könnte noch lange dauern, bis die entsprechenden Abkommen unterzeichnet sind und auch wir Einwanderer wähle dürfen", sagt Pijal.

Die Befürchtungen sind gerechtfertigt. Die Hürde der Gegenseitigkeit, die Spaniens Verfassung vorschreibt, ist sogar noch höher, als die Ecuadorianerin meint, sagt Jurist Juan Carlos Rois vom Hilfsverband Aesco. In einigen lateinamerikanischen Ländern wären dafür Verfassungsänderungen notwendig. "Ecuador schreibt das Wahlrecht nur für Ecuadorianer vor. Kolumbien könnte Spanier zwar wählen lassen, sieht aber nicht vor, dass sie auch kandidieren. In Argentinien ist es von Region zu Region unterschiedlich", so Rois. Das Wahlrecht für Einwanderer könne also auch am politischen Willen der Herkunftsländer scheitern.

Wahlrecht ist Verhandlungssache

Spaniens Regierung will nun einen Sonderbotschafter ernennen, der mit den Herkunftsstaaten verhandeln soll. Die Gewerkschaften meinen, angesichts der komplizierten Verhandlungen sollte Spanien auch auf die Gegenseitigkeit verzichten und selbst seine Verfassung ändern. Sonst würden die Ausländer je nach ihrer Herkunft diskriminiert, warnt Ana María Corral von der UGT. "Die Verhandlungen werden bei einigen Staaten schneller, bei anderen länger dauern - mit anderen Staaten wird es gar kein Abkommen geben", meint Corral. Am Ende dürften die Leute je nach ihrer Herkunft wählen und kandidieren und anderen bliebe die Kommunalpolitik verschlossen - auch wenn sie schon zehn oder 20 Jahre in Spanien leben.

Spanien Wahlzettel und Urne (27 Mai. 2007/dpa)
Das Wahlrecht löst nicht die großen Probleme der EinwandererBild: picture-alliance/ dpa

Trotz der Debatte ums Detail: Niemand in Spanien ist grundsätzlich gegen das kommunale Wahlrecht für Einwander. Der Verband der Marokkaner, Atime, fordert zudem Bürgerrechtskunde. Sonst könnte die politische Integration am Desinteresse der Betroffenen scheitern, warnt Miriam Bejouka von Atime. "Leider interessieren sich unsere Landsleute kaum für Politik. In Marokko werden sie ja auch nicht an der Politik beteiligt. Wir brauchen also Erziehung in Demokratie", sagt Bejouka. Das politische Interesse der Leute werde erst dann größer, wenn man ihnen die Bedeutung der Parteien erkläre, dass es beispielsweise Unterschiede gebe und sie sehen, dass sie nicht wählen dürfen.

Überleben sichern statt Wählen dürfen

Doch vielen Einwanderern brennen ganz andere, existentielle Probleme unter den Nägeln. Die Ecuadorianerin Narcisa meint, dass sich die Krise auf dem Baumarkt verschärft habe. Immer mehr Leute werden arbeitslos. "Dazu kommt die Abschiebehaft von bis zu eineinalb Jahren, die die Europäische Union beschlossen hat. Das verunsichert viele. Auch in Spanien wird über eine Verschärfung des Ausländerrechts diskutiert", sagt sie. Das Wahlrecht sei eine positive Maßnahme, aber das löse nicht die großen Probleme der Einwanderer: Arbeit finden, Miete und Kredite bezahlen. Überleben.