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Politik

Warnungen vor dauerhaftem Antisemitismus

9. November 2020

"Es beschämt mich..." - Die Erinnerung an das furchtbare Wüten vor Jahrzehnten müssen Bundespräsident Steinmeier und andere Politiker einmal mehr mit ernsten Mahnungen angesichts einer erschreckenden Gegenwart verbinden.

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Damals konnten manche Menschen selbst vor zerstörten jüdischen Geschäften - wie hier in Berlin - noch lachen (Foto: United Archives International/imago images)
Damals konnten manche Menschen selbst vor zerstörten jüdischen Geschäften - wie hier in Berlin - noch lachenBild: United Archives International/imago images

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits zum Jahrestag der Pogromnacht 2020 zu konsequentem Handeln gegen Antisemitismus in Deutschland aufgerufen. Es beschäme ihn, dass sich Juden mit einer Kippa auf den Straßen hierzulande nicht sicher fühlten, und dass jüdische Gebetshäuser geschützt werden müssten, sagte Steinmeier.

"Es beschämt mich, dass zum Beispiel ein tödlicher Angriff auf die Synagoge in Hallean Jom Kippur nur durch eine schwere Holztür verhindert wurde." Er sei zugleich aber dankbar, "dass die Behörden in Deutschland ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie den Polizeischutz für Synagogen aufstocken und antisemitische Straftaten mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgen". 

Gemeinsame Video-Botschaft mit Israel und Österreich 

In einer gemeinsamen Videobotschaft hatte Steinmeier mit seinen israelischen und österreichischen Amtskollegen bereits vor Jahren generell zum Kampf gegen Antisemitismus aufgerufen. Jahrzehnte nach den Novemberpogromen seien "die dunklen Schatten der Vergangenheit nicht von unseren Straßen verschwunden", heißt es dort. "Wir stehen zusammen, in Wien, in Jerusalem, in Berlin."

Die Botschaft war Teil einer weltweiten Aktion im Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 unter dem Titel "Let there be light", bei der Gotteshäuser und andere Einrichtungen in der Nacht beleuchtet werden sollten. 

Bis zu 1300 Menschen ermordet oder in Suizid getrieben

Bei den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckten Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen in Brand und misshandelten, verschleppten und ermordeten jüdische Bürger. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben.

Die Novemberpogrome "waren ein widerwärtiger Gewaltausbruch, der auf lange Jahre der Diskriminierung, Einschüchterung und Anfeindung folgte. Sie waren ein Vorbote der unfassbaren Verbrechen der Shoah, die meine Landsleute einige Jahre später verüben sollten", so Steinmeier. "Und sie sind eine eindringliche Warnung an uns heute."

"Kein Phänomen allein der rechtsextremistischen Ränder"

Viele der Verschwörungsmythen rund um die Corona-Krise machten deutlich: "Antisemitismus ist auch heute kein Phänomen allein der rechtsextremistischen Ränder. Er erreicht die Mitte unserer Gesellschaft." Unter der Überschrift "7Places - Sieben Orte in Deutschland" befasste sich eine Ausstellung mit sieben jüdischen Gemeinden. Im Mittelpunkt standen ihre Geschichte und ihr Umgang mit dem Gedenken an Ausgrenzung.

Das Justizministerium kündigte bereits 2020 ein intensiveres Vorgehen gegen judenfeindliche Äußerungen im Internet an. "Wir werden Online-Plattformen stärker in die Pflicht nehmen, sich nicht als Schleudern von Hetze und Verschwörungsmythen missbrauchen zu lassen" hieß es von der damaligen Justizministerin in der "Rheinischen Post". Der Hass gegen Juden sei "eine Schande für unser Land".

"Bis heute nicht damit fertig geworden"

Die antisemitische Gewalt des 9. November 1938 wirkt nach Einschätzung des Internationalen Auschwitz Komitees auch nach mehr als 80 Jahren nach. "Bis zum heutigen Tag ist für jüdische Überlebende dieser Schreckensnacht die Erinnerung an die Gleichgültigkeit der allermeisten ihrer Nachbarn das Entsetzlichste, womit sie bis heute nicht fertig geworden sind", erklärte der Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, in Berlin.

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph HeubnerBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

"Gerade deshalb engagieren sie sich gegen den aufflammenden antisemitischen Hass und die mörderische Gewalt, die aus ihm in Deutschland, in Österreich, in Frankreich und in anderen Ländern hervorbricht", sagte Heubner. Dass dieser Hass sich aus rechtsextremen und islamistischen Quellen "speist und gegenseitig stimuliert, ist für Überlebende des Holocaust ebenso verstörend wie die antisemitischen Verschwörungslügen, die gerade in diesen Tagen bei Demonstrationen auf offene Ohren stoßen".

sti/se (dpa, epd, kna)