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Online-Videoprojekt erinnert an von der Hamas Entführte

Verena Greb
26. Oktober 2023

Mit #BRINGTHEMHOMENOW machen israelische Filmschaffende aufmerksam auf die von der Terrororganisation Hamas in Israel als Geiseln genommenen Menschen. Der Titel ist zugleich Anliegen: "Bringt sie jetzt heim."

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Eine Frau und ein Mann in weißen T-Shirts blicken in die Kamera der Video-Aktion #BRINGTHEMHOMENOW
Bei #BRINGTHEMHOMENOW kommen Angehörige zu Wort - wie diese beiden, die ihren Sohn vermissenBild: #bringthembacknow volunteers

"Sie glaubten daran, dass sie Seite an Seite mit den Palästinensern leben könnten. Krieg war das Gegenteil von ihnen. Niemand entführt eine 72-jährige Frau. Das ist gegen die Menschlichkeit, das ist gegen alles, was Menschen glauben können", sagt Eyal Nouri über seine Tante und seinen Onkel und über das, was ihnen am 7. Oktober widerfahren ist. Nouri ist beteiligt an einem Projekt israelischer Filmschaffender, bei dem er und viele weitere unter dem Titel #BRINGTHEMHOMENOWin Video-Statements von geliebten Verwandten und Freunden erzählen, die sie vermissen. 

An jenem 7. Oktober übte die palästinensische Hamas, die von der Europäischen Union, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft wird, einen bis dato beispiellosen Terrorangriff auf den Süden Israels aus. Bei den schweren Angriffen starben hunderte Menschen, viele wurden verletzt. Außerdem wurden mehr als 220 Menschen - darunter hauptsächlich Israelis -  als Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt, wie sehr wahrscheinlich Nouris Tante. In der Folge erklärte Israel der Hamas den Krieg, weshalb auch auf palästinensischer Seite viele Menschen starben. 

Über das Projekt

Logo mit dem Schriftzug  #BringthemhomeNow
Viele der Beteiligten machen sonst längere Filme. Für dieses Projekt produzieren sie viele kürzere, die sich teilen lassenBild: #bringthembacknow volunteers

Mit #BRINGTHEMHOMENOW wollen die Macher auf die in Israel Verschwundenen aufmerksam machen. In kurzen Clips erzählen Freunde und Verwandte über sie, und durch zusätzliche Fotos und Videos, die in besseren Zeiten aufgenommen wurden, bekommen die Vermissten ein Gesicht. Das Projekt wird stetig erweitert. Derzeit ist das Team dabei, 30 Testimonials von weiteren Angehörigen aufzunehmen. Die fertigen Social Media-Clips werden in mehreren Sprachen untertitelt; über den Hashtag können sie geteilt werden.

Zu #BRINGTHEMHOMENOW gehören inzwischen eine eigene Webseite sowie mehrere Kanäle in den Sozialen Medien. Mitinitiator ist der 31-Jährige israelische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Eliran Peled, der in Tel Aviv lebt. Gegenüber der DW erläutert er in einem Online-Gespräch, warum er sich mit teils namhaften Kolleginnen und Kollegen dafür zusammengetan hat:

"Einige von uns Filmemachern aus der Branche fühlten, dass wir wirklich etwas tun müssen. Und wir dachten darüber nach, wie wir helfen können - vor allem mit der Geisel-Situation." Peled fügt hinzu, dass dies das erste Mal sei, dass sein Land mit etwas Derartigem umgehen müsse. Er vergleicht die Situation mit einem "Albtraum", worin sie sich noch immer befänden, vor allem emotional.

Er und die anderen reagierten schnell und nahmen Kontakt zu einigen der Angehörigen auf. Schon fünf Tage nach den Vorkommnissen führten Ari Folman - in Haifa geborener Sohn polnischer Holocaust-Überlebender, international bekannt für seine Animationsfilme "Waltz With Bashir" (2008) und "Wo ist Anne Frank?" (2021) - sowie die in den USA geborene Jasmine Kainy, die als Journalistin und Dokumentarfilmerin in Israel tätig ist, erste Interviews. Ein Team Freiwilliger schnitt die Videos, sodass sie schon am Wochenende nach dem Angriff erstmals verbreitet werden konnten. Tage später war die projekteigene Webseite fertig.

Auch Babys und Kinder werden vermisst

Porträt von Eliran Peled, eine der Produzenten von #Bringthemhomenow.
Der israelische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Eliran Peled half, #BRINGTHEMHOMENOW umzusetzenBild: AdiLammPhotography

Das Anliegen der Initiatoren fasst Ari Folman im Interview mit der überregionalen Tageszeitung FAZ so zusammen: "Da war, ist, so viel Zorn, die Forderung nach Rache. Und wir wollten weltweit darauf aufmerksam machen, dass auch Babys, Kinder, alte, demenzkranke Menschen entführt worden sind. Sie sind kein Teil dieses Konflikts, sie sollten befreit werden." Ähnlich betont dies auch Produzent Peled im DW-Gespräch.

Außerdem erwähnt er, dass ihnen wichtig gewesen sei, "die Schrecken nicht zu zeigen, sondern die Geschichte der Menschen zu erzählen". Es gehe darum, allen rund um den Globus die "menschliche Situation" vor Augen zu führen - ungeachtet dessen, was jede und jeder über Israel, die Konflikte oder die Politik denke. 

Die Clips sollen die Erinnerung wach halten

Mit den Videos soll verhindert werden, dass das Schicksal der Geiseln "auf die hinteren Seiten verschoben wird", wie Yael Reuveny, die das Projekt aus Deutschland unterstützt, der DW sagt. Aus der Sicht der israelischen Regisseurin sei am wichtigsten, "zumindest von israelischer Seite diese Menschen nicht aufzugeben, nicht zu vergessen, dass sie dort sind - jede Minute". 

In einem der Videos kommt Ilay David zu Wort, der seinen vier Jahre jüngeren Bruder vermisst. Er war bei einem Musikfestival in der Negev-Wüste unweit des Gazastreifens und wurde von dort mutmaßlich entführt. Manchmal verschwanden gar große Teile einer Familie. Lior Katz Natanzon erwähnt in ihrem Video, dass ihre Mutter sowie deren Partner, ihre Schwester, ihr Bruder und ihre zwei Nichten gekidnappt worden seien. "Ich hätte niemals geglaubt, dass sowas jemals passieren könnte", für sie sei das ein "Horrorfilm". 

Die Arbeit am Projekt hilft auch den Beteiligten

Mittlerweile ist das Team auf 140 Personen angewachsen. Einige recherchieren die Geschichten oder nehmen Kontakt zu weiteren Angehörigen auf, während sich andere um die Webseite und Social Media kümmern - ehrenamtlich und freiwillig.

Die israelische Filmemacherin Yael Reuveny hat die Rolle einer Multiplikatorin inne. Sie macht in Deutschland, wo sie lebt, auf #BRINGTHEMHOMENOW aufmerksam. Im DW-Gespräch sagt sie, dass ihr die Mitarbeit am Projekt selbst geholfen habe: "Es war super für mich, weil ich wirklich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Es war ein Weg, nicht nur alle fünf Minuten die Nachrichten zu aktualisieren, sondern etwas zu tun, das sich nützlich, hilfreich und wichtig anfühlen kann." 

"Bitte bringt sie heim"

Viele Politikerinnen und Politiker, Diplomatinnen und Diplomaten - auch aus Deutschland - versuchen derzeit, die Geiseln frei zu bekommen. Nur vier wurden bisher freigelassen. Die Freilassung zweier 83 und 84 Jahre alten Damen diese Woche erfolgte nach Angaben der Hamas aus humanitären Gründen.

Inwiefern #BRINGTHEMHOMENOW dazu beitragen kann, die noch Verschleppten zurückzuholen, lässt sich schwer sagen. Doch alle sollen die Botschaft hören können, mit der alle der Angehörigen-Statements in den Videos, so oder ähnlich formuliert, enden: "Bitte bringt sie heim."