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"Null Fairness in der Vorbereitung"

17. Juli 2021

Kaum ein Athlet konnte sich wegen der massiven Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie problemlos auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Allerdings gab es große Unterschiede - je nach Land und Sportart.

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Rottenburg  Leichtathletik -  Sportanlage geschlossen
Kein Training möglich - wegen der Corona-Pandemie Bild: ULMER Pressebildagentur/imago images

Caradh O'Donovan ist einen weiten Weg gegangen, um sich ihren Lebenstraum von den Olympischen Spielen zu erfüllen. Nach 20 Jahren als Kickboxerin wechselte die mehrfache Welt- und Europameisterin 2017 zu Karate. Denn Kickboxen wird auf absehbare Zeit keine olympische Sportart werden - Karate feiert in Tokio dagegen Premiere. Weil sich beide Sportarten ähneln, probierte die Irin es erfolgreich aus. Dann kam die Corona-Krise.

Für O'Donovan, die manch schlimme Verletzung hinter sich gebracht hatte und bei der die Darmkrankheit Morbus Crohn diagnostiziert wurde, war dies der heftigste Rückschlag ihrer sportlichen Karriere. Denn Karate ist nicht nur Kontaktsportart, sondern findet auch in der Halle statt - die schlechtest mögliche Kombination in einer Pandemie. "Die Einschränkungen für den Hallensport in Irland waren möglicherweise unter den strengsten der Welt", sagte O'Donovan der DW.

Kein Training, kein Wettkampf, keine Unterstützung vom NOK

"Wir hatten drei Lockdowns. Von März 2020 bis Juli 2020 konnten wir überhaupt nicht mehr trainieren. Danach durften wir nur noch bestimmte Trainingsaktivitäten durchführen, aber das war etwa die Hälfte des Trainingspensums, das ausreichen würde, um für einen Elitewettbewerb zu trainieren." Kein Sparring, kein Kontakttraining - auch das wichtige Krafttraining entfiel, denn die Fitnessstudios mussten auch schließen.

Irland Dublin Coronavirus
In Irland sorgten die strengen Lockdowns für leere Fußgängerzonen - wie hier in DublinBild: Gaven Reilly

"Alle Wettkämpfe für Karate wurden in Irland ab März letzten Jahres verboten und sind bis heute nicht wieder aufgenommen worden", berichtet O'Donovan. "Für Elite-Athleten, die sich auf die Spiele in Tokio vorbereiten, gab es keine Ausnahmen. Und international wurden alle Wettkämpfe für mich, einschließlich der olympischen Qualifikationsveranstaltungen, abgesagt oder um ein Jahr verschoben."

Besonders frustriert habe sie, dass das Nationale Olympische Komitee und die Regierung trotzdem erwartet hätten, dass sich die Athleten auf die Olympischen Spiele vorbereiten und qualifizieren, ohne sie dabei zu unterstützen. "Vielleicht haben sie Nicht-Kontakt- oder Outdoor-Sportarten besser unterstützt, aber Karate wurde in dieser Zeit leider völlig vernachlässigt."

Physische und psychische Folgen für Athleten

Wie O'Donovan erging es zahlreichen internationalen Athletinnen und Athleten: Lockdowns zwangen die Sportler weltweit teilweise monatelang zu äußerst kreativem "Home-Training", denn Sporthallen und auch Sportanlagen blieben lange Zeit geschlossen. Dazu wurden etliche wichtige Vorbereitungs- und sogar Qualifikations-Wettkämpfe oder -Turniere wegen der aktuellen Coronalage in letzter Minute abgesagt.

Professor Wilhelm Bloch forscht seit zwölf Jahren über die Wechselwirkung von Sport und Krebs
Sportmediziner Wilhelm Bloch: Trainingspause hat Einfluss auf Leistung von SpitzensportlernBild: DSHS Köln

Bei Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern geht es in dieser entscheidenden Phase der Vorbereitung allerdings "um die letzten Prozente. Da ist das Training genau gesteuert und auch periodisiert, damit dann tatsächlich zum Höhepunkt die optimale Leistung abgerufen werden kann", erklärt Professor Wilhelm Bloch, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln.

"Es braucht dann schon eine sehr gute Trainingsgestaltung, um sich der Optimalleistung anzunähern." Mindestens die Zeit der Trainingspause werde gebraucht, um das Leistungsniveau wieder zu erreichen, wenn es mehr als zwei Wochen Trainingspause waren, sagte der Sportmediziner der DW. "Insbesondere die Muskulatur, aber auch das mikrovaskuläre Gefäßsystem brauchen Zeit, um sich wieder anzupassen."

Coronafälle unter Athleten und im Familienkreis

Dazu kommen die psychischen Probleme für die Sportler und Sportlerinnen: Der Fokus auf das Fernziel Olympia schien verloren, die persönliche Gesundheit in Gefahr, die Akzeptanz für die Spiele im Ausrichterland so gut wie nicht vorhanden. Etliche Athleten - vor allem aus Südamerika - haben zudem Corona-Todesfälle im Familien- und Freundeskreis zu verkraften.

Steffi Kriegerstein trainiert für Kanu WM
Die deutsche Kanutin Steffi Kriegerstein musste ihre Olympia-Teilnahme absagenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Auch unter den Top-Athletinnen und -Athleten gab es Corona-Erkrankungen. Die deutsche Kanutin Steffi Kriegerstein erholte sich von ihrer Infektion im Dezember nur schlecht, brach Anfang des Jahres das Trainingslager ab und sagte daraufhin ihre Teilnahme an den Spielen ab. Ihr Herz-Lungen-Volumen war deutlich kleiner geworden.

Selbst vor Ort in der wirklich letzten Vorbereitungsphase kann Corona einem noch einen Strich durch die Rechnung machen: Die serbischen Ruderer können sich nicht wie geplant drei Wochen vor dem Olympiastart vor Ort in Japan vorbereiten, sondern mussten nach einem positiven Coronafall bei der Einreise für 14 Tage in Quarantäne. Sie sind schon die dritte Delegation, die bei der Ankunft in Tokio böse überrascht wurde. 

"Jedes Land hat seine Athleten unterschiedlich unterstützt"

Die Corona-Pandemie zeigte zudem noch einmal deutlich die Unterschiede bei den finanziellen Möglichkeiten der Länder und Disziplinen auf. Einige Athleten - selbst aus von Corona besonders betroffenen Regionen wie Südamerika oder Indien - konnten es sich leisten, ihre Vorbereitung nach Nordamerika oder Europa zu verlegen. Im indischen Cricket etwa wurden "Bio-Bubbles" gebildet: erst 14 Tage Quarantäne, dann vier Wochen Spiele - eine teure Angelegenheit, die es so für andere Sportarten nicht gab.

Indien Cricket Stadion Kalkutta
Cricket hat in Indien einen großen StellenwertBild: Payel Samanta/DW

Man könnte argumentieren, dass es bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele niemals Fairness gebe, da die Athleten je nach Wohnort unterschiedliche Möglichkeiten hätten, aber das Coronavirus habe die Ungerechtigkeit noch weiter verdeutlicht, resümiert Karateka O'Donovan daher. "Es gibt null Fairness in der Vorbereitung der Athleten auf diese Spiele. Jedes Land hat seine Athleten unterschiedlich unterstützt, und ich denke, wir werden den Beweis dafür in den Ergebnissen bei den Spielen sehen."

"Goldmedaille in Tokio nur wenig wert"

O'Donovan selbst hat sich gegen ihren großen Traum von den Olympischen Spielen entschieden. Aus sportlicher Sicht wäre sie gut genug für die Teilnahme gewesen, jedoch nicht für den Titelkampf. Aber das ist ihr Anspruch. Die vielen Verletzungen forderten zudem ihren Tribut. 

Die Karatekämpferin, die auch Mitglied der Athletenvereinigung Global Athlete ist, macht dem IOC den Vorwurf, es versäumt zu haben, einen fairen Weg zur Qualifikation zu schaffen. "Das ist in vielen Sportarten nicht passiert. Meiner Meinung nach ist es ihnen egal, wer sich qualifiziert, solange die Athleten da sind und die Show weitergeht."

Auch beim Thema Sicherheit habe das IOC nicht die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt, weder für Gesichtsmasken noch für Versicherungen gesorgt und stattdessen von den Athleten eine Verzichtserklärung verlangt: eine Erklärung, dass sie auf eigene Gefahr nach Tokio reisen und auf jeden Haftungsanspruch im Falle einer COVID-Infektion verzichten. 

"Die letzten Jahre haben mir wirklich gezeigt, was aus den Olympischen Spielen geworden ist - etwas, das sich weit von ihren Werten Freundschaft, Respekt und Exzellenz entfernt hat", zieht O'Donovan ein bitteres Fazit. "Für mich hat eine Goldmedaille in Tokio daher nur noch wenig Wert. Dennoch bewundere ich die Athleten, die durchhalten und es auf das oberste Treppchen schaffen und wünsche ihnen alles Gute! Es wird keine einfache Reise gewesen sein, um dorthin zu gelangen."