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'Neue Kriege'

27. Januar 2007

Alte Kriege sind ein Auslaufmodell: Heute schicken Warlords Kindersoldaten in den Krieg, kaufen billig Waffen und fangen Hilfslieferungen ab. Herfried Münkler spricht im Interview über die Auswirkungen der neuen Kriege.

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Prof. Dr. Herfried Münkler (Foto: HU-Berlin)
Herfried MünklerBild: HU-Berlin

Rafael Bujotzek: Was sind "Neue Kriege" und wie unterscheiden sich die neuen von den alten Kriegen?

Herfried Münkler: In den neuen Kriegen spielen private oder substaatliche Akteure eine zentrale Rolle. Die Staaten sind nicht mehr die Monopolisten der Kriegsführung. Damit hat sich auch die Ökonomie des Krieges verändert. Staaten haben Kriege finanziert, indem sie Steuern abgeschöpft, Kredite gezogen oder sich verschuldet haben – häufig mit der "Lösung" Staatsbankrott. In den neuen Kriegen haben sich die Akteure über Schattenkanäle an die Globalisierung angedockt, indem sie mit meist illegalen Gütern handeln, um ihre Kriege zu finanzieren: Rauschgift und Frauen, aber auch Blutdiamanten und anderem mehr. Es ist ein fundamentaler Unterschied, dass es in den alten Kriegen darum ging, den Krieg mit beschränkten Kosten möglichst effektiv und kurz zu führen. In den neuen Kriegen dagegen leben viele der Akteure vom Krieg. Sie haben gar kein Interesse daran, dass er endet, weil sie sonst die Quellen ihres Reichtums verschütten würden.

Welche Rolle spielen dabei Unterstützungszahlungen aus dem Ausland?

Wenn reiche Geschäftsleute aus dem Ausland oder ganze Exilgemeinden Interesse am Sturz einer Regierung haben, sammeln sie Geld, um oppositionelle Gruppen, Aufstandsbewegungen und Warlords mit Waffen zu versorgen. Das war in den jugoslawischen Zerfallskriegen der Fall, aber auch in einer Reihe von Kriegen in Schwarzafrika.

Um wie viel Geld geht es da?

Das sind Beträge, die in dreistellige Millionensummen gehen können.

Und in den Krisenländern selbst: Wie wichtig sind Rohstoffe?

Wenn zum Beispiel die Warlords den Handel mit Rohopium in Afghanistan unter ihre Kontrolle bringen, dann verdient die Spitze des militärischen Bereichs daran, dass sie mit der organisierten Kriminalität eine Liaison eingegangen ist. Legale und illegale Rohstoffe haben die Eigenschaft, dass dem Preis, den sie erzielen, nur ein minimaler Arbeitsaufwand gegenüber steht. Der Rest ist Einkommen, für das man nicht arbeiten muss. Das kann bei Öl der Fall sein, aber auch bei Kokain, Diamanten, Edelhölzern oder Coltan – was im Ostkongo eine große Rolle spielt – oder auch beim Handel mit Frauen. Die Gewinne aus dem Handel mit Frauen an die Bordelle Europas haben 2005 erstmals die Einnahmen aus Rauschgifthandel überstiegen.

Wie kommen die Kriegsführer zu ihren Waffen? Sind das hauptsächlich Restbestände des Kalten Krieges?

Es gibt überall noch ein paar veraltete Panzer oder Jagdflugzeuge, aber wichtiger ist die Unverwüstlichkeit der Erfindung des genialen Konstrukteurs Michael Kalaschnikow: Die Maschinenpistole geht auch aus den Beständen der 50er Jahre nicht kaputt und ist sehr billig. Wenn man für 50 Dollar eine Kalaschnikow auf den Märkten bekommen kann, heißt das für Warlords, dass sie relativ billig Truppen aufstellen können.

Aus welchen Altersgruppen oder gesellschaftlichen Gruppen kommen die Söldner?


Das ist von Land zu Land verschieden. Man weiß aber, dass in einer Reihe von Konflikten, zum Beispiel in Uganda, häufig Kinder rekrutiert werden, die sehr billig sind und die man leicht ersetzen kann, wenn sie zu Tode kommen.

Wie sieht es mit den internationalen Hilfslieferungen aus? Werden die abgefangen?

Ja, die internationalen Hilfslieferungen sind ein wirklich großes Problem, weil solche Kriege einerseits Flüchtlingslager, Hunger, Krankheit und Tod mit sich bringen, was die Weltgemeinschaft – zumindest die Menschen, die ein Herz im Leibe haben – zu Spenden und Hilfslieferungen nötigt. Andererseits organisieren die örtlichen Bürgerkriegsparteien entweder die Verteilung im Lager oder sie errichten vorher Kontrollpunkte, an denen sie die Kolonnen „besteuern“. So bekommen die Warlords kostenlos Nahrung und Medikamente geliefert. Oder wenn man es zuspitzen will: Unsere Barmherzigkeit und unser schlechtes Gewissen wird eine Ressource der Kriegsausweitung und Verlängerung.

Wie wirkt bei dieser Sache das mediale Interesse?

Es ist ein zusätzliches Merkmal der neuen Kriege, dass Bilder und Nachrichten ein Bestandteil der Kriegsführung geworden sind. Man kann nicht ausschließen, das ein Warlord, der Logistikprobleme hat, nachrichtenhungrige Journalisten und Kamerateams einlädt und ihnen Elend zeigt, um auf diese Weise Versorgungsströme in Gang zu setzen und so seine Handlungsfähigkeit zu vergrößern. Dann entstehen Bilder von Frauen und Kindern mit aufgeblähten Bäuchen, Hungerödemen und derlei mehr, die gewissermaßen ein Stimuli bei der Erzeugung von Hilfsbereitschaft und Spendenströmen geworden sind.

Wie sind die Aussichten? Werden wir in Zukunft mehr mit diesen Konflikten zu tun haben?

Also ich denke, dass der klassische zwischenstaatliche Krieg ein historisches Auslaufmodell ist. Die neuen diffusen Kriege, in denen sich Bürgerkrieg und zwischenstaatlicher Krieg vermischen, in denen private Akteure – im übrigen nicht nur Warlords, sondern auch private militärische Dienstleistungsanbieter – eine zentrale Rolle spielen, die werden wohl in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts das Erscheinungsbild des Krieges in hohem Maße bestimmen.

Herfried Münkler ist Professor für Theorie der Politik an der Humboldt Universität in Berlin und Autor des Buches "Neue Kriege".

Rafael Bujotzek, Studiengang Online-Journalismus, Hochschule Darmstadt