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KonflikteNahost

Nahost aktuell: Erste Hilfslieferungen im Gazastreifen

Veröffentlicht 21. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 21. Oktober 2023

Der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gaza wurde zeitweilig für den Transport von Hilfsgütern geöffnet. In Kairo gab es ein Krisentreffen zahlreicher Staatschefs - ohne Israel. Nachrichten im Überblick.

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Ägypten | Hilfslieferungen überqueren Grenze zum Gazastreifen in Rafah
Bewegung am Grenzübergang Rafah - erste Hilfsgüter sind im Gazastreifen eingetroffenBild: Mohammed Asad/AP Photo/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Grenzübergang Rafah für humanitäre Hilfslieferung geöffnet
  • Baerbock mahnt Israel zur Rücksicht auf Zivilisten im Gazastreifen
  • USA fordern die Freilassung aller Geiseln 
  • Josef Schuster: Bei Demos wird Existenzrecht Israels klar abgelehnt
  • Zehntausende bei Solidaritätsdemo für Palästinenser in London

Ägypten hat den Grenzübergang Rafah zeitweilig geöffnet, um Lastwagen mit dringend benötigten humanitären Hilfsgütern in den Gazastreifen einfahren zu lassen. Auf Livebildern des ägyptischen Fernsehens war zu sehen, wie Lkw die Grenze passieren. Den ägyptischen Angaben zufolge wurden 20 Lastwagen durchgelassen. Das Rote Kreuz bestätigte das Eintreffen der Güter im Gazastreifen. Anschließend wurde der Übergang wieder geschlossen.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte die kurze Öffnung in einem Post auf der Plattform X. "Es ist gut und wichtig, dass jetzt erste humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza kommt. Sie brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente - wir lassen sie nicht allein", schrieb Scholz. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths äußerte sich zuversichtlich, dass man nun eine dauerhafte Lieferung lebenswichtiger Güter für die Menschen im Gazastreifen erreichen könne. "Dieser erste Konvoi darf nicht der letzte bleiben", erklärte Griffiths.

Die Öffnung des Grenzübergangs war tagelang Gegenstand intensiver diplomatischer Gespräche; unter anderem hatte US-Präsident Joe Biden Druck auf Kairo ausgeübt. Anschließend zeigte sich der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bereit, die Grenze zu öffnen. Dann verzögerte dieser Schritt sich jedoch, weil die Straße auf palästinensischer Seite ausgebessert werden musste. Insgesamt stauten sich Berichten zufolge mehr als 200 Lkw auf ägyptischer Seite, die zusammen rund 3000 Tonnen an Hilfsgütern geladen hatten.

Grenzübergang Rafah zwischen dem Nordosten Ägyptens und dem südlichen Gazastreifen
Stau an der Grenze: ein Satellitenbild des Grenzübergangs Rafah vor der Öffnung - es warten hunderte Lkw mit HilfsgüternBild: AFP

Krisengipfel in Kairo

Unterdessen hat in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ein Krisengipfel auf Einladung von Präsident al-Sisi stattgefunden. "Die Menschen der Welt schauen heute genau auf uns", sagte al-Sisi zur Eröffnung des "Gipfels für den Frieden". Er bedaure die gewaltsame "Vertreibung unserer Brüder und Schwestern in Palästina" bis zur ägyptischen Sinai-Halbinsel, sagte der Gastgeber. Der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, sagte, sein Volk werde nicht weichen: "Wir bleiben auf unserem Land".

Jordaniens König Abdullah II. warnte, die Katastrophe dränge "eine gesamte Region in einen Abgrund". "Je mehr die Krise an Grausamkeit gewinnt, desto weniger scheint es die Welt zu interessieren." Abdullah forderte Israel auf, den Krieg sofort zu beenden. "Israel muss einsehen, dass es für seine Sicherheitsbedenken keine militärische Lösung gibt."

Ägypten Kairo | Cairo Summit for Peace | Präsident Ägypten Abdel-Fattah al-Sisi
Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi bei seiner EröffnungsredeBild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Unter den weiteren Teilnehmern waren die Staatsoberhäupter der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrains, Katars, Südafrikas und Zyperns, die Regierungschefs von Italien, Spanien, Griechenlands sowie eine Reihe von Außenministern, UN-Generalsekretär Antonio Guterres und die EU-Spitzenvertreter Charles Michel und Josep Borrell. Deutschland wurde von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vertreten. Vertreter Israels waren nach dortigen Angaben nicht eingeladen worden.

Baerbock verlangt Rücksicht auf Zivilisten in Gaza

Die deutsche Außenministerin hat Israel volle Solidarität im Kampf gegen den Hamas-Terror zugesichert, die internationale Gemeinschaft aber zugleich zu mehr Unterstützung für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen aufgerufen. "Für Deutschland ist die Sicherheit des Staates Israel nicht verhandelbar", bekräftigte die Grünen-Politikerin beim Nahost-Gipfel in der ägyptischen Hauptstadt Kairo.

"Klar ist auch, dass die Täter dieses Terrors nicht für das palästinensische Volk sprechen. Sie sprechen nur für sich selbst. Sie sprechen die Sprache des Terrors." Baerbock forderte zudem, den Kampf gegen die Hamas, die außer von Israel auch von den USA, der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf die humanitäre Lage zu führen.  Deutschland habe seine humanitäre Hilfe für Gaza um 50 Millionen Euro aufgestockt, erinnerte Baerbock. "Wir ermutigen alle anderen, auch aus der Region, sich diesem Anliegen anzuschließen."

Ägypten Kairo | Cairo Summit for Peace | Annalena Baerbock und James Cleverly
Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit ihrem britischen Kollegen James Cleverly beim Gipfel in KairoBild: Kira Hofmann/photothek/IMAGO

Israel ruft Bürger zum Verlassen von Ägypten und Jordanien auf

Israel hat seine Staatsbürger aus Sorge vor Racheakten dazu aufgerufen, die arabischen Nachbarländer Ägypten und Jordanien umgehend zu verlassen. Das israelische Außenministerium veröffentlichte eine entsprechende Empfehlung des Nationalen Sicherheitsstabs. Die Alarmstufe für die Länder sei auf die höchste Warnstufe (hohe Bedrohung) erhöht worden. Dies schließe auch die Sinai-Halbinsel ein, ein beliebtes Tourismusziel für viele Israelis.

Für Marokko gelte wie für Jordanien und Ägypten die Empfehlung, auf nicht essenzielle Reisen dorthin zu verzichten. Eine Reisewarnung gelte auch für andere Länder der Region wie die Türkei sowie die Golfstaaten und andere muslimische Länder. "In den letzten Tagen gibt es eine weitere erhebliche Verschärfung der Proteste gegen Israel in verschiedenen Ländern, vor allem in arabischen Staaten im Nahen Osten", hieß es in der Mitteilung. Es gebe auch "Feindseligkeit und Gewalt gegen israelische und jüdische Symbole". Außerdem hätten islamistische Kräfte weltweit ihre Rhetorik verschärft und zu weltweiten Anschlägen auf Israelis und Juden aufgerufen.

USA fordern Freilassung aller Geiseln

Die beiden von der islamistischen Hamas am Freitagabend freigelassenen amerikanischen Geiseln sind wieder in Israel. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte mit, der israelische Verantwortliche für die Entführten und Vermissten, Brigadegeneral Gal Hirsch, habe die beiden Frauen - Mutter und Tochter - an der Grenze des Gazastreifens in Empfang genommen. Sie seien anschließend zu einer Militärbasis im Zentrum des Landes gebracht worden, wo sie mit Familienangehörigen zusammengekommen seien. Die Frauen waren bei dem beispiellosen Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober aus dem Kibbuz Nahal Os in den palästinensischen Gazastreifen verschleppt worden.

Der israelische Brigadegeneral Gal Hirsch mit den freigelassenen US-Bürgerinnen
Der israelische Brigadegeneral Gal Hirsch mit den freigelassenen US-Bürgerinnen Bild: Government of Israel via REUTERS

Nach Angaben der US-Regierung hatte das Golfemirat Katar bei der Freilassung der Frauen vermittelt. Katar gilt als massiver Unterstützer der Hamas, die von Israel, Deutschland, der EU, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft ist. Details nannte US-Außenminister Antony Blinken auf Nachfrage jedoch nicht.

Blinken betonte, es gebe immer noch zehn weitere Amerikaner, die in dem Krisengebiet vermisst würden. "Wir wissen, dass einige von ihnen von der Hamas als Geiseln gehalten werden, zusammen mit schätzungsweise 200 anderen Geiseln, die in Gaza festgehalten werden." Jeder Einzelne von ihnen müsse freigelassen werden, forderte Blinken. Er versicherte zugleich, die US-Regierung arbeite unermüdlich daran, die restlichen entführten Amerikaner heimzuholen. Unter den Verschleppten sind auch deutsche Staatsbürger. Das Auswärtige Amt in Berlin spricht von acht Fällen, wobei ein Fall mehrere Familienmitglieder umfassen kann.

US-Präsident Joe Biden zeigte sich "überglücklich" und telefonierte mit den beiden freigelassenen Frauen, wie das Weiße Haus in Washington mitteilte.

Josef Schuster im DW-Interview 

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat die Bekräftigung von Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßt, dass für Antisemitismus in der Bundesrepublik kein Platz ist. Antisemitismus sei kein Kavaliersdelikt, sagte Schuster der Deutschen Welle. Er wies darauf hin, bei den meisten pro-palästinensischen Demonstrationen werde gleichzeitig Hass geschürt und das Existenzrecht Israels klar abgelehnt. 

Schuster: Leider Platz für Antisemitismus in Deutschland

Zehntausende demonstrieren in London für Palästinenser

In der britischen Hauptstadt London haben knapp 100.000 Menschen ihre Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck gebracht. Nach einem Demonstrationszug durch die Innenstadt versammelte sich die Menge vor dem Amtssitz von Pemierminister Rishi Sunak in der Downing Street. Teilnehmer forderten in Sprechchören und auf Transparenten "Freiheit für Palästina" und übten scharfe Kritik an Israel. Dabei waren auch anti-israelische Slogans zu hören.

Die Polizei hatte zuvor erklärt, dass Gewalt sowie Beifallsbekundungen für die in Großbritannien verbotene Hamas nicht toleriert würden. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, ein Hubschrauber flog über dem Demonstrationszug. In der Nähe der Downing Street angekommen löste sich der Protestzug auf, wie die Polizei weiter mitteilte. Auch in anderen britischen Städten wie Birmingham oder Cardiff gab es pro-palästinensische Demonstrationen.

England | Pro-Palästina Demsonstration in London
Nach Polizeiangaben verlief die pro-palästinensische Demonstration in London friedlichBild: Velar Grant/ZUMAPRESS/picture alliance

Zentralrat der Muslime mahnt friedliche Demonstrationen an

Der Zentralrat der Muslime ruft pro-palästinensische Demonstranten in Deutschland zur Zurückhaltung auf. Der Vorsitzende des Zentralrats, Aiman Mazyek, sagte den ARD-"Tagesthemen", auf den Straßen seien derzeit Hass, Gewalt und Antisemitismus zu erleben. "An dieser Stelle verurteile ich das ganz klar und deutlich", betonte Mazyek. "Ich appelliere auch insbesondere an die Muslime, gerade an Demonstrationen sich jetzt zurückhaltend zu beteiligen und auch genau hinzuschauen, wer die Betreiber sind."

"Ich verhehle nicht, dass es auch Muslime gibt, die antisemitisch sind, und das müssen wir bekämpfen", sagte der Zentralrats-Vorsitzende weiter. Jede Form von Antisemitismus oder Rassismus sei eine Sünde im Islam. "Gerade wir als deutsche Muslime haben eine besondere Verantwortung, auch gegenüber Juden und Israel", erklärte er. Es sei allerdings auch wichtig, dass Menschen, die zum Beispiel Angehörige im Gazastreifen verloren haben, ihre Trauer zum Ausdruck bringen könnten, fügte Mazyek hinzu.

Polizisten vor der Synagoge in der Brunnenstraße in Berlin
In der Nacht zum Mittwoch hatten zwei Vermummte Brandsätze in Richtung der Synagoge in Berlin-Mitte geschleudert - die Polizei sucht nach Spuren Bild: Rolf Zöllner/IMAGO

Seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober haben in Deutschland antisemitische Übergriffe massiv zugenommen. Außerdem finden immer wieder nicht genehmigte Unterstützungskundgebungen für die Hamas statt. Mehrfach kam es zu schweren Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Der Zentralrat gehört zu den großen muslimischen Dachverbänden in Deutschland. Nach dem Angriff auf Israel war Kritik laut geworden, dass die Verbände sich zu spät geäußert und die Taten der Hamas nicht eindeutig genug verurteilt hätten.

EU und USA bekräftigen Beistand für Israel

Die EU und die USA haben bei einem Gipfeltreffen in Washington ihre Geschlossenheit in der Unterstützung Israels und der Ukraine bekräftigt. "Diese Konflikte zeigen, dass Demokratien zusammenstehen müssen", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Gespräch mit US-Präsident Joe Biden und EU-Ratspräsident Charles Michel im Weißen Haus.

Ursula von der Leyen, links von ihr Charles Michel und gegenüber US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus
Gelöste Stimmung bei US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus Bild: Evan Vucci/AP Photo/picture alliance

In einer gemeinsamen Abschlusserklärung äußerten die Gipfel-Teilnehmer auch ihre Sorge angesichts der "sich verschlimmernden humanitären Krise im Gazastreifen". Es sei "von entscheidender Bedeutung", eine Eskalation in der Region zu vermeiden - etwa durch eine weitere Kriegsfront mit der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon. Die Hisbollah wird von Israel, den USA, Deutschland und einigen sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation angesehen. Die Welt brauche mehr denn je ein starkes Bündnis zwischen der EU und den USA, um diese Herausforderungen anzugehen, hieß es weiter.

Allerdings sind die USA derzeit politisch nicht voll handlungsfähig. Präsident Biden bat den Kongress am Freitag zwar um mehr als 75 Milliarden Dollar (rund 71 Milliarden Euro) an neuen Hilfen für Israel und die Ukraine. Das Parlament ist aber angesichts des Machtkampfs der Republikaner um den bedeutenden Posten des "Speakers" im Repräsentantenhaus bereits seit zweieinhalb Wochen weitgehend lahmgelegt. Die Kongresskammer ist ohne Vorsitzenden. Unklar ist deswegen, ob und wann die Mittel gebilligt werden.

ehl/nob/ack/se/mak/uh/haz/ust (dpa, afp, ap, rtr, dw, kna)