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Kinderarbeit in Kasachstan

29. Juli 2010

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat einen Bericht über die Ausbeutung von Migranten und ihren Kindern auf den Tabakfeldern Kasachstan veröffentlicht. Philip Morris gehört zu den Abnehmern des Tabaks.

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Logo von Human Rights Watch (Grafik HRW)

"Moderne Sklaverei", "Kinderausbeutung" – solche Begriffe findet man in dem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zur Kinderarbeit in Kasachstan. Schockierende Tatsachen, die aber in der Region eine Tradition haben, stellt die Menschenrechtlerin Zulfija Bajsakova fest.

Auch zu sowjetischen Zeiten hatte man Kinder auf Baumwoll- und Tabakfeldern Südkasachstans geschickt. Dass dies der Gesundheit schadet, wusste man schon damals, trotzdem mussten Kinder während der Schulferien ihren Eltern helfen. Damals wurden sie mit Eis und Kinobesuchen belohnt, heute können sie dadurch Geld für ein Handy verdienenen.

Allerdings geht es nicht immer um Taschengeld: Es gibt durchaus Fälle, dass Kinder gezwungen werden zu arbeiten, und zwar im gleichen Umfang wie die Erwachsenen. Sonst kommen solche Familien nicht über die Runden. In erster Linie seien die Familien von illegalen Einwanderern aus den benachbarten Republiken betroffen, berichtet Human Rights Watch.

kasachische Menschenrechtlerin Ajnur Zhakupova (Foto: DW)
Zhakupova wirft den Eltern vor, Kinderarbeit zu tolerierenBild: DW

Zulfija Bajsakova befürchtet, dass die Situation sich in den nächsten Monaten verschärfen wird. Denn die jüngsten Unruhen im Nachbarland Kirgistan könnten eine neue Migrationswelle auslösen. "Zusammen mit erwachsenen Migranten kommen eben ihre Kinder, und die sind noch weniger geschützt als ihre Eltern", sagt Bajsakova, Vorsitzende der "Allianz der Krisenzentren", eines Verbandes von Nichtregierungsorganisationen, die sich unter anderem für Kinderechte einsetzen.

Auch Philip Morris profitiert von Kinderarbeit

Zwei Jahre lang untersuchte Human Rights Watch die Arbeitsbedingungen auf privaten Tabakfeldern im Gebiet um die kasachische Großstadt Almaty. Mehrmals wurde nachgewiesen, dass Tabakbauern illegal Migranten beschäftigen, von denen die meisten aus Kirgisien stammen. Vereinbarungen über die Belohnung werden mündlich getroffen – und oft nicht eingehalten. Um genug Geld zu verdienen, arbeiten ganze Familien. Der jüngste Gastarbeiter, den Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation auf einem Tabakfeld antrafen, war gerade einmal 10 Jahre alt.

Infoblätter zum Kampf gegen Kinderarbeit in Kasachstan (Foto: DW)
Menschenrechtsorganisationen warnen vor KinderarbeitBild: DW

Der Hauptabnehmer des Tabaks aus dem Almaty-Gebiet ist der Konzern Philip Morris International. Laut dem Bericht von Human Rights Watch profitiert er also von Kinderarbeit, obgleich indirekt. Auf die Anfrage der Deutschen Welle teilte das Unternehmen mit, man gehe aktiv gegen illegale Beschäftigung vor. Die Lieferverträge mit kasachischen Tabakbauern seien vor kurzem durch strengere Auflagen ergänzt worden, unter anderem sei dort Kinderarbeit ausdrücklich untersagt. Außerdem wolle das Unternehmen den Gastarbeitern helfen, Kinder in Schulen unterzubringen, denn oft würden sie wegen fehlender Aufenthaltspapiere zurückgewiesen.

Menschenrechtler kritisieren mangelnde Transparenz

Nach der Veröffentlichung des Berichts von Human Rights Watch beauftragte Philip Morris eine internationale Nichtregierungsorganisation mit der Kontrolle der in den Lieferverträgen festgelegten Auflagen. "Die Mitarbeiter werden unangekündigte Besuche abstatten, mit den Bauern und deren Arbeitern reden. Die Ergebnisse werden wir später der Öffentlichkeit vorstellen", verspricht der Geschäftsführer von Philip Morris Kasachstan, Ajbat Ahmetalimov. Den Namen der beauftragten Nichtregierungsorganisation wollte Ahmetalimov allerdings nicht nennen.

Die Menschenrechtlerin Bajsakova sagt, sie habe noch nie davon gehört, dass Philipp Morris Vertreter der kasachischen Zivilgesellschaft zur Kooperation einladen würde. "Sie behaupten das zwar, aber was sie wirklich unternehmen, ist schwer nachzuvollziehen. Das Unternehmen ist sehr verschlossen", so Bajsakova. Um das Problem zu lösen, seien gemeinsame Anstrengungen vom Staat, Wirtschaft und Gesellschaft notwendig.

Viele Eltern sehen Kinderarbeit unkritisch

Zwar ist Kinderarbeit in Kasachstan gesetzlich verboten, die gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Problematik in ehemaligen sowjetischen Republiken ist aber anders als im Westen. Kinderarbeit wird oft als effiziente Erziehungsmaßnahme angesehen. Wenn ein Kind arbeite, meinen viele Eltern, habe es keine Zeit, Unfug zu treiben, zu rauchen oder härtere Drogen zu konsumieren.

Die kasachische Menschenrechtlerin Zulfija Bajsakova (Foto: DW)
Bajsakova warnt vor GesundheitsschädenBild: DW

Das Amt für Kinderschutz in Almaty hat im Juni dieses Jahres eine Umfrage unter arbeitenden Kindern durchgeführt. Ergebnis: 45 Prozent der Kinder zwischen 10 bis 17 Jahren müssen entweder körperlich anstrengende oder gesundheitsschädliche Arbeit ausführen: Nachtwachen, Lasttransporte, Autowäsche oder Putzarbeit in großen Handels- und Lagerhallen. "Das Erstaunliche ist: Laut den befragten Kindern sieht zumindest die Hälfte der Eltern diese Tatsache positiv", sagt Ajunur Zhakupova vom Amt für Kinderschutz.

Oft existiert kein Bewusstsein für die Gefahren

Auch wenn es um die Tabakernte geht, machen sich Eltern oft keine Gedanken darüber, wie gefährlich die harte Arbeit auf dem Tabakfeld in praller Sonne für ihre Kinder ist, ganz zu schweigen von den Gefahren durch den Kontakt mit Pestiziden. Im Bericht von Human Rights Watch werden sogar Fälle beschrieben, in denen Eltern Gesundheitsschäden bei ihren Kindern nach der Arbeit auf Tabakfeldern feststellen aber trotzdem nichts unternehmen.

Zum Teil könne man den Einsatz von Kinderarbeit durch die sowjetische Tradition erklären, sagt Zulfija Bajsakova. Sie selbst musste als Schulkind in der benachbarten Kolchose aushelfen. "Das ist eben diese Kollektivismus-Tradition: Jeder hilft jedem. In der Sowjetunion wurde diese Mentalität gefördert", so die Menschenrechtlerin. Sicher habe so eine Denkweise auch positive Seiten. Gefährlich werde es nur, sagt Bajsakova, wenn Erziehung und Solidarität mit Ausbeutung verwechselt würden.

Autorinnen: Olga Korneeva/Tatiana Petrenko
Redaktion: Fabian Schmidt