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Workshops gegen Zwangsehen

28. Juni 2011

Zwangsehen sind in Deutschland ein Thema: Es trifft vor allem junge Mädchen aus Einwandererfamilien. Die Berliner Polizei hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Schulklassen darüber aufzuklären und Hilfen anzubieten.

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Polizistin Gabriele Segeritz (3. v. l.) sitzt mit einer Gruppe von Mädchen im Kreis (Foto: DW/Murat Koyuncu)
Aufklärung in einer MädchenrundeBild: DW

Im Heinrich von Kleist-Gymnasium in Berlin-Moabit haben rund 70 Prozent der Schüler eine Einwanderungsgeschichte. Die meisten stammen aus dem orientalischen Raum: Aus dem Libanon, aus den Palästinensergebieten oder aus der Türkei. Gerade bei Familien aus diesen Kulturkreisen käme es hin und wieder vor, dass Töchter gegen ihren Willen mit Männern aus ihrem Umfeld oder aus der Heimat verheiratet werden, so Schulleiterin Cynthia Segner. Zwar gäbe es auf dieser Schule keine konkreten Fälle, dennoch möchte sie mit Hilfe der Polizei die Jugendlichen auf das Thema aufmerksam machen und informieren.

Zwangsheirat ist kein Märchen

Gabriele Segeritz (l.) und Carsten Höpfner (Foto: DW/Murat Koyuncu)
Gabriele Segeritz (l.) und Carsten HöpfnerBild: DW

Dazu bietet die Berliner Polizei Informationsveranstaltungen in den Schulen an. Das Seminar am Kleist-Gymnasium findet in einer 10. Klasse statt. Die Schüler sind im Durchschnitt 15 Jahre alt. Der Unterricht beginnt zunächst mit einem Ausschnitt aus dem Märchenfilm "König Drosselbart" der Gebrüder Grimm. In der Geschichte soll eine junge und schöne Königstochter auf Wunsch ihres Vaters, aber gegen ihren eigenen Willen heiraten. Nach circa fünf Minuten wird der Film gestoppt. Die Klasse wird nun in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Jungen gehen mit einem Polizisten in den Klassenraum nach neben an, die Mädchen bleiben in der Klasse. Während sie ihre Stühle in einem Kreis anordnen und Platz nehmen, stellt sich Polizeioberkommissarin Gabriele Segeritz der Runde vor und fragt, was den Jugendlichen vom Film im Gedächtnis geblieben ist. Nach einer kleinen Analyse hält die Gruppe fest, dass Zwangsehe kulturübergreifend schon immer ein Problem war.

Polizistin Segeritz erklärt den Schülerinnen, dass neben der körperlichen Gewalt die so genannte emotionale Gewalt ein großes Thema bei der Zwangsheirat sei. Segeritz: "Nimm zum Beispiel an: Ich bin deine Mama und ich bitte dich ganz nett und weinend, dass du bitte Costa heiratest, weil es uns allen sehr gut tun würde. Du würdest damit ganz viel für die Familie tun. Ist das was Schlimmes? Könnte das bestraft werden?" Eine Schülerin meint: "Ich glaube, es ist trotzdem strafbar. Wenn man einem das die ganze Zeit einredet und dann auch noch weint, dann bekommt man ja Schuldgefühle. Obwohl man gar nichts gemacht hat. Und möchte vielleicht deswegen der Mutter den Gefallen tun. Es ist aber trotzdem ein Zwang." Segeritz nickt: "Richtig, denn was mache ich denn? Unterm Strich zwinge ich dich doch trotzdem, Costa zu heiraten!"

Während des Gesprächs stellt die Polizeioberkommissarin Berliner Einrichtungen vor, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzen. Dazu verteilt sie Broschüren mit Kontaktmöglichkeiten.

Auch Jungs werden zur Heirat gezwungen

Auch für Jungs ist das Thema Zwangsehe von Bedeutung: Polizist Carsten Höpfner (mitte im weißen T-Shirt) informiert am Kleist-Gymnasium in Berlin (Foto: DW/Murat Koyuncu)
Auch für Jungs ist das Thema Zwangsehe von BedeutungBild: DW

Im Klassenzimmer nebenan sitzt Polizist Carsten Höpfner mit den Jungen. Auch er spricht mit ihnen über das Thema Zwangsehe, denn nicht nur Mädchen seien von diesem Problem betroffen: In einigen konservativ-islamischen Familien würde man die Söhne zwecks sexueller Disziplinierung verheiraten. Um so vermehrten Frauenkontakten vorzubeugen oder sogar um eine Homosexualität zu verheimlichen, da sie sonst eine Schande für ihre Familien seien.

Zwangsheirat werde oft totgeschwiegen

Bundesweite Zahlen oder eine offizielle Statistik zu Zwangsehen gibt es laut Berliner Polizei nicht. Im vergangenen Jahr wurden aber beispielsweise in Berlin 16 Strafverfahren registriert. Circa 60 Mal wurde Hilfe in der Einrichtung "Papatya" in Anspruch genommen, die sich für Opfer von Zwangsehen stark macht. Allerdings sei die Dunkelziffer laut Polizei weitaus höher. Sie habe bisher wenig Erfahrung mit dieser Art von Ermittlungsverfahren, da es kein typisches Massendelikt sei. Auch Segeritz hat aufgrund ihrer langjährigen Öffentlichkeitsarbeit festgestellt, dass es ein hohes Dunkelfeld geben muss.

Denn Gespräche mit jungen Mädchen und Kontakte zu Frauenhäusern würden zeigen, dass dieses Problem aus Angst totgeschwiegen werde. Deshalb will Segeritz zusammen mit ihrem Team in Schulen und Jugendeinrichtungen präventiv dagegen arbeiten.

Autor: Murat Koyuncu
Redaktion: Klaudia Prevezanos