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PolitikAfrika

Was der nationale Dialog im Tschad leisten muss

DW MA-Bild Eric Topona
Eric Topona
20. August 2022

Der Tschad will die Weichen stellen, um zu einer zivilen Regierung zurückzukehren. Bei diesem nationalen Dialog müssen jedoch Fehler der Vergangenheit vermieden werden, meint Eric Topona.

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Bronze-Statue mit gesprengten Ketten vor einer Flagge des Tschad
Die Tschader haben hohe Erwartungen an den nationalen Dialog, der mindestens drei Wochen andauern sollBild: Issouf Sanogo/AFP

Wenn an diesem Wochenende im Tschad der nationale Dialog beginnt, wird sich das Land erneut seiner Geschichte stellen müssen. Die mehr als 1300 Teilnehmer starke Versammlung soll in mehreren Wochen den Weg zu demokratischen Wahlen und einer zivilen Regierung ebnen, nachdem ein Militärrat unter Mahamat Idriss Déby - dem Sohn des zuvor in einem Kampfeinsatz umgekommenen Idriss Déby Itno - im April vergangenen Jahres die Macht im Land in seine Hände genommen hat. 

Nachdem die Hoffnungen an die Nationalversammlung von 1993 nicht erfüllt wurden, geht es für die Teilnehmer dieses enormen kollektiven Nachdenkens um nicht weniger als darum, die Grundlagen für einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schaffen. Worum es diesmal nicht gehen darf: Mit Beschlüssen, die ohne Folge bleiben, die Sprache ihrer Bedeutung zu berauben. Das tschadische Volk erwartet von seinen Vertretern einen echten und ehrlichen Dialog, der wirklich alle einschließt und dessen Beschlüsse Bestand haben, wie das seine ausführliche Bezeichnung ("inclusif et souverain") nahelegt.

Dialog als sinfonisches Werk

Die Baustellen sind gewaltig - und die Erwartungen sind es auch. Wollen sie diesem Auftrag gerecht werden, müssen die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger es schaffen, sich vom traditionellen Reflex des Machterhalts freizumachen, der heute mehr denn je deplatziert ist angesichts der historischen Herausforderungen, die nur alle Bürgerinnen und Bürger des Landes gemeinsam schultern können. Ja, dieser Dialog kann nur dann gelingen, wenn er sich wie ein sinfonisches Werk begreift, in dem jede und jeder seinen Part spielt.

DW MA-Bild Eric Topona
Eric Topona ist Redakteur im Team Französisch für AfrikaBild: DW/P. Böll

Die bevorstehende Versammlung ist einzigartig: Denn es geht nicht bloß darum, eine neue Verfassung auszuarbeiten oder die Gesetze des Landes punktuell zu bereinigen, wie das die zahlreichen afrikanischen Nationalversammlungen im demokratischen Aufbruch der 1990er-Jahre unternommen haben. Ein "inklusiver und souveräner" Dialog unter Tschadern muss auch ethische und philosophische Fragen stellen und damit die tschadische Gesellschaft auch theoretisch und konzeptionell neu begründen.

In deren Zentrum muss die Organisation fairer, freier und transparenter Wahlen stehen. Neuer Wein lässt sich nicht gut in alte Schläuche gießen, wie es eine biblische Weisheit feststellt. Ein nationaler Dialog, der sich - wie in der Vergangenheit - damit begnügt, neue Gesetzestexte und institutionelle Reformen zu beschließen, die dann nicht umgesetzt werden, verkennt die dringende Notwendigkeit eines neuen zivilisatorischen Projekts für den Tschad.

Eine neue demokratische Kultur

Die Jahre des Bürgerkriegs, die Plünderung des Staates und der natürlichen Ressourcen, ein Bildungssystem im Todeskampf, der Verfall des Gesundheitssystems und überhaupt jeglicher Wertesysteme - all das kann nicht allein juristisch geahndet werden, wie das so oft die Haltung afrikanischer Staaten war. Im Tschad wird es in den kommenden Monaten und Jahren darum gehen, eine neue demokratische Kultur zu schaffen, die den großen Sprung aus der Mittelmäßigkeit hin zur Exzellenz vollzieht.

Dieser Wandel muss beginnen mit dem Respekt vor dem ureigenen Recht eines souveränen Volkes, seine Vertreter frei zu wählen. Seit der Unabhängigkeit des Tschad im Jahr 1960 wurde dieses Bürgerrecht kontinuierlich mit Füßen getreten - egal, ob es um die Wahl des Staatschefs oder der lokalen Machthaber geht. Möglich wurde das durch den Siegeszug der Waffengewalt über die Waffen der Demokratie.

Die nächsten Wahlen als entscheidender Prüfstein

Seit sechs Jahrzehnten müssen die Herrschenden im Tschad keine Rechenschaft ablegen, das Prinzip der Republik wurde stets flexibel ausgelegt. Die "Unantastbaren" garantierten sich selbst Immunität aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Ethnie, einem politischen Lager oder einer mafiösen Vereinigung. Wenn es aber Voraussetzung politischer Karrieren ist, die Gesetze der Republik mit Füßen zu treten, wie können wir dann erwarten, dass die politisch Verantwortlichen demokratischen Geist leben?

Der Erfolg des jetzt bevorstehenden "inklusiven und souveränen" nationalen Dialogs wird sich nicht allein an seinen Beschlüssen messen lassen. Am Ende zählt vor allem, dass die nächsten Wahlen im Tschad frei und fair verlaufen.