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Rede an die Nation

12. November 2009

In seiner Rede an die Nation vor den beiden Kammern des russischen Parlaments hat Präsident Medwedew ambitionierte Ziele vorgegeben. Damit eröffnen sich Chancen für die europäische Russlandpolitik, meint Ingo Mannteufel.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

Das waren klare Worte vom russischen Präsidenten. In seiner Rede zur Nation ging Dmitri Medwedew mit den sozio-ökonomischen Zuständen in Russland hart ins Gericht. Er wetterte gegen die chronische Rückständigkeit seines Landes, die beschämend geringe Wettbewerbsfähigkeit der russischen Wirtschaft, die verbreitete Korruption, die hohe Abhängigkeit von Öl und Gas sowie gegen viele andere größere und kleinere Probleme.

Ingo Mannteufel (Foto: DW)

Bei der Beschreibung der Schwierigkeiten ist kaum mit Medwedew zu streiten. Er hat mit nahezu jedem einzelnen Punkt recht. Die genannten Probleme tragen ganz wesentlich dazu bei, dass Russland sein Potential nicht ausschöpft und seinen Bürgern nicht moderne Lebensbedingungen bietet. Es ist daher richtig, dass Medwedew unter dem Motto "Modernisierung Russlands" tiefgreifende Veränderungen anstrebt. Viele der von ihm nun an die Regierungs- und Staatsorgane vergebenen Arbeitsaufträge klingen auch gut: Angefangen von der rhetorisch schönen Aussage, dass sich die Modernisierung auf demokratische Werte und Institutionen stützen müsse, bis hin zu Medwedews Plänen für den Nordkaukasus oder die russischen Monostädte.

Bruch in der Tandem-Demokratie?

Doch vor lauter Zustimmung zur Problembeschreibung sollten zwei Fragen nicht vergessen werden: Erstens, ob sich die ehrgeizigen Ziele unter den von Medwedew beschriebenen Problemen wie Korruption und übermächtige Staatsbürokratie überhaupt realisieren lassen. Und, zweitens, ob Russland technologisch und wirtschaftlich erfolgreich modernisiert werden kann, ohne auch tiefgreifende politische Strukturreformen vorzunehmen.

Denn hinsichtlich der politisch-staatlichen Sphäre waren Medwedews Äußerungen eher bescheiden. Zwar äußerte er sich kritisch zum Autoritarismus auf regionaler Ebene und forderte kleinere Erleichterungen für die systemischen Oppositionsparteien. Wirkliche Vorschläge zur Reform des politischen Systems oder des russischen Rechtssystems kamen aber in Medwedews Rede nicht vor.

Für Kreml-Experten interessant war Medwedews Forderung nach einer Umstrukturierung der Staatskooperationen, denn die Schaffung dieser Staats-Holdings war eine der letzten Amtshandlungen von Putin, als er noch Präsident war. Daraus aber auf einen tiefgehenden Zwist zwischen Medwedew und Putin zu schließen, wäre übertrieben. Letztendlich bewegte sich Medwedew mit seiner Konzentration auf die wirtschaftliche Modernisierung des Landes im Rahmen der bereits von seinem politischen Ziehvater und jetzigen Regierungschef Wladimir Putin vorgegebenen Strategie.

Medwedews Verdienst liegt eher darin, das seit Jahren propagierte Ziel der Modernisierung Russlands inhaltlich fortentwickelt und in eine demokratische Rhetorik eingebunden zu haben. Dies lässt Optimisten wie immer hoffen, aber Realisten werden darauf pochen, dass Medwedews Worten nun endlich Taten folgen müssen.

Chance für europäische Politik

Dennoch: Medwedews Botschaft bietet für den Westen und insbesondere für die Europäer und Deutschen eine große Chance. Denn erstmals definiert Russland seinen angestrebten Status als Weltmacht nicht mehr in erster Linie über eine Ideologie oder über militärische Kennziffern, sondern über die Frage, ob es seinen Bürgern moderne Lebensbedingungen bieten kann.

Diese Umorientierung zwingt Russland zu einer grundsätzlich kooperativen Haltung zur Außenwelt. Denn nur über eine Integration in die Weltwirtschaft ist das Ziel der Modernisierung zu erreichen, wie Medwedew selbst sagte.

Deshalb überrascht es auch nicht, dass der russische Präsident nur kurz die internationale Thematik streifte: Russland wolle eine rein pragmatische Außenpolitik zur Absicherung der inneren Modernisierung betreiben. Die Diplomatie werde noch stärker in den Dienst von russischer Wirtschaft und Modernisierung gestellt. Damit erhält die russische Außenpolitik eine rein funktionale Bedeutung. Aus historischer Perspektive wäre das für Russland ein revolutionärer Paradigmenwechsel.

Die Staaten der Europäischen Union sind nun gefordert, durch eine klare Definition der eigenen Ziele und der konkreten Hilfen für die russische Modernisierung diese Chance zu nutzen.

Autor: Ingo Mannteufel

Redaktion: Kay-Alexander Scholz