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Was kommt nach Wikipedia?

Das Interview führte Christine Elsaeßer26. Juni 2007

Obwohl ihm ein frühes Ende prophezeit wurde, ist das Online Lexikon Wikipedia eine der erfolgreichsten Internetseiten überhaupt. Mit DW-WORLD sprach ihr Gründer Jimmy Wales über das Geheimnis von Wikipedia.

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Jimmy Wales
Der Wikipedia-Gründer Jimmy WalesBild: AP

DW-WORLD: Ein bekanntes amerikanisches Magazin hat Sie unter die hundert Menschen gewählt, die unsere Welt formen. Wie fühlt es sich an, ein Weltenformer zu sein?

Jimmy Wales: Ich fand das eher lustig. Ich habe es natürlich genossen, aber Tyra Banks – das Supermodel – war auch auf der Liste. Also weiß ich nicht, wie bedeutend das wirklich ist. Aber ich fühle eine echte Verantwortung, dass ich in einer Position bin, in der ich Einfluss haben kann. Ich kann etwas sagen und die Menschen hören mir zu. Deswegen versuche ich, nicht so viel zu sagen. Ich will sicher gehen, dass ich nur Sachen sage, an die ich wirklich glaube.

Jimmy Wales Foto: DW/Christine Elsässer
Jimmy Wales gründete 2001 die WikipediaBild: DW/Christine Elsässer

Gleichheit, uneingeschränkte Kritikfähigkeit und keine Hierarchie: Ist das nur die Philosophie von Wikipedia oder ist das Ihre Lebensphilosophie?

Das ist meine Lebensphilosophie. Viel von Wikipedia spiegelt Dinge, an die ich wirklich glaube. Manchmal denken die Leute, dass wenn du glaubst, dass alle mitmachen sollen es auch keinen Unterschied macht, ob etwas richtig oder falsch ist und dass eine Meinung so gut ist wie jede andere. Es ist für die Leute dann vielleicht paradox, aber ich denke, dass manche Leute einfach nicht so schlau und nicht so nützlich sind. Aber die Möglichkeit zum Mitmachen offen zu lassen heißt, dass wir von allen Seiten großartige Ideen bekommen können.

Dass Wikipeda funktioniert, ist ein Verdienst der Community, also der Menschen, die jeden Tag ohne Bezahlung Artikel schreiben. Warum machen sie das für Wikipedia?

Ich glaube, dass es zwei Gründe gibt. Ein Grund ist, dass das Wohltätige unserer Mission die Menschen anzieht. Aber ich glaube, das ist ein ziemlich beschränkter Grund. Der Hauptgrund ist, dass es Spaß macht. Die Leute mögen den Prozess, sie treffen gerne andere gebildete Menschen. Es ist ein großartiges Hobby. Wir wissen das intuitiv, wenn wir an Menschen denken, die am Wochenende Fußball spielen. Wir sagen nicht: "Was, du spielst Fußball und wirst nicht dafür bezahlt?" Das ist dumm, oder? Offensichtlich machen es die Leute, weil sie Spaß daran haben. Mit Wikipedia ist es ähnlich. Manche Menschen verdienen mit Schreiben viel Geld, aber andere können es nur so zum Spaß machen.

Sie scheinen es auch nur aus Spaß zu machen. Denn obwohl Wikipedia sehr erfolgreich ist, verdienen Sie kein Geld, weil es ein gemeinnütziges Projekt ist. Denken Sie manchmal, dass Sie etwas falsch gemacht haben?

Ich mache oft den Witz, dass es entweder das Dümmste oder das Genialste war, das ich jemals gemacht habe, als ich Wikipedia als gemeinnützigen Verein angemeldet habe. Das Dümmste offensichtlich, weil ich mit Milliardären rumhänge, aber selber kein Geld habe. Das Genialste aber, weil ich nicht glaube, dass Wikipedia sonst so erfolgreich gewesen wäre. Außerdem glaube ich, dass man sich in der Zukunft daran erinnern wird. In 100 oder 200 Jahren werden die Leute auf Wikipedia zeigen und sagen: Das war etwas wirklich Gutes, das etwas Nützliches für die Welt getan hat. Das ist etwas, auf das ich wirklich stolz bin.

Warum hätte es als kommerzielle Organisation nicht funktioniert?

Ich glaube, dass für ein Lexikon, das wirklich versucht, diese große moralische Mission zu erfüllen, Wissen mit jedem zu teilen, eine gemeinnützige Organisation wirklich der richtige Ansatz ist. Dass heißt, dass wir den Luxus haben, die Dinge richtig zu machen. Und dass wir sie uns nicht von aktuellen wirtschaftlichen Umständen diktieren lassen müssen.

Die Internet Video-Plattform YouTube wurde für 1,65 Milliarden Dollar verkauft. Wie viel müsste man Ihnen bieten, damit Sie Wikipedia verkaufen?

Ich weiß nicht, was es wert ist, aber das ist wirklich interessant. Es hat nur geringe Einnahmen. Aber ich denke, man könnte überall Werbung draufklatschen und damit Geld verdienen. Die Wikimedia Stiftung – die Besitzerin von Wikipedia – könnte es wohl verkaufen. Keiner hat ein Interesse daran, das zu machen. Aber sicherlich, wenn jemand drei Milliarden Dollar bieten würde, müsste man schon ernsthaft darüber nachdenken, was es der wohltätigen Mission der Stiftung, kostenloses Wissen zu verteilen, helfen würde, wenn wir Wikipedia outsourcen würden.

Ihr neustes Projekt, die Suchmaschine Wikia Search, die Ende dieses Jahres starten wird, wird kommerziell sein. Warum haben Sie ihre Meinung geändert?

Das Interessante daran ist, dass für manche Projekte das gemeinnützige Modell gut funktioniert, wie zum Beispiel für Krankenhäuser oder das Rote Kreuz. Die Menschen sind bereit, genug Geld zu spenden, um sie am Leben zu halten. Aber für andere Sachen, wie das Betreiben einer Supermarktkette, hat es nie erfolgreiche Wohltätigkeitsorganisationen gegeben. Ich glaube, dass unterschiedliche Arbeit auch unterschiedliche Arten von Organisationen braucht.

Es gibt schon so viele Suchmaschinen im Internet. Warum braucht die Welt noch eine?

Die Suchmaschinen, die wir zurzeit haben, sind wie eine Black Box und nicht transparent. Sie werden von keiner Gemeinschaft kontrolliert und ihre Qualität ist… naja, sie ist ziemlich gut, hat aber die letzten zwei oder drei Jahre stagniert. Es gibt viele Sachen, in denen sich Suchmaschinen nicht so verbessert haben, wie es sich viele von uns gewünscht hätten. Ich weiß nicht, wie man eine Suchmaschine besser als das macht, was es schon gibt. Aber ich glaube, dass eine große Gemeinschaft von Menschen und ein offener wissenschaftlicher Dialog darüber, wie man das macht, Fortschritt bringen kann. Außerdem macht es Spaß. Ich mache immer das, was am meisten Spaß bringt.

Und was wird die nächste große Sache im Internet werden?

Ich weiß es nicht. Ich erinnere die Leute immer daran, dass ich vor fünf Jahren noch dieser Typ war, der im Schlafanzug vor dem Internet saß. Und jetzt werden mir tiefsinnige Fragen über die Zukunft des Internets gestellt. Den Trend, den ich zurzeit sehe ist, dass wir erst am Anfang von freien Lizenzen für Kultur sind. Und wir sind noch ganz am Anfang, Gemeinschaften zu entwickeln, die qualitative gute Arbeit machen. Ich glaube, dass es in diesen Bereichen noch viel Raum gibt.

Jimmy Wales wurde 1966 in Alabama, USA, geboren. Er studierte Finanzwissenschaften und arbeitete an der Börse in Chicago. 2001 gründete er Wikipedia, ein mehrsprachiges, Internet basiertes Lexikon. Es wird gemeinschaftlich von Freiwilligen geschrieben. Die große Mehrheit der Artikel kann von jedem geändert werden, der Zugang zum Internet hat. Von 2003 bis 2006 leitete Jimmy Wales die Wikimedia Stiftung, die Wikipedia herausgibt. 2004 gründete er das kommerzielle Internet-Portal Wikia, das jetzt sein neustes Projekt, die Suchmaschine Wikia Search, betreiben soll. Sie soll, wie Wikipedia, auf open source Software beruhen. Jimmy Wales lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Florida.