1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Libyen: Erstaunliche Wandlungen eines einst geächteten Staates

Peter Philipp5. April 2006

Libyen hat eine erstaunliche Wandlung vollzogen: vom Unterstützer des internationalen Terrorismus zum attraktiven Wirtschaftspartner für die westliche Welt. Was bleibt, ist ein dramatisches Demokratie-Defizit.

https://p.dw.com/p/8CIy
Libyens Staatschef Gaddafi im März bei einer Konferenz in SirteBild: picture-alliance/dpa
Anschlag auf Diskothek "La Belle" in Berlin
Vor 20 Jahren: Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle"Bild: AP

In der Nacht zum 5. April 1986 ist in der Berliner Diskothek "La Belle" Hochbetrieb. Die Gäste - unter ihnen wie immer zahlreiche US-Soldaten - denken ganz bestimmt nicht an Politik, den Nahen Osten oder an Spannungen zwischen den USA und Libyen. Keine zwei Stunden nach Mitternacht werden sie hiervon eingeholt: Eine Bombe detoniert, drei Menschen sterben und über 200 werden verwundet.

Bald kommt der Verdacht auf, dass es eine Verbindung zu Libyen geben könnte, weil die USA den nordafrikanischen Ölstaat angegriffen haben und weil man dem Regime Muammar Gaddafis seit geraumer Zeit nachsagt, den internationalen Terrorismus zu unterstützen.

Erst Berlin, dann Lockerbie

Lockerbie Jahrestag
Gedenken an LockerbieBild: AP

Zwei Jahre nach dem Anschlag auf "La Belle" explodiert über dem schottischen Lockerbie eine Linienmaschine der "Pan-Am": 259 Passagiere kommen um - die meisten von ihnen US-Bürger. Bald finden sich Hinweise auf eine libysche Verbindung, aber erst Jahre später findet man im Nachlass der Stasi Unterlagen, die den Verdacht auch im Fall "La Belle" erhärten: Libyens Geheimdienst wollte sich mit dem Anschlag für die Versenkung zweier libyscher Schiffe rächen.

Ein mehrjähriger Prozess vor dem Berliner Landgericht endet im Jahr 2001 mit derselben Feststellung: Libyen ist verantwortlich für den Anschlag. Dieses Libyen ist inzwischen aber dabei, seinen Ruf zu verbessern: Bereits in den neunziger Jahren hat Tripolis begonnen, sich um eine Verbesserung der Beziehungen zur EU zu bemühen. Mit einigem Erfolg: 1999 werden die UN-Sanktionen ausgesetzt, die seit 1992 Libyen für seine Verstrickung in Terrorakte bestrafen sollen.

Libyen liefert aus und zahlt Entschädigungen

Staatschef Gaddafi geht weiter: Er überstellt die Tatverdächtigen des Lockerbie-Anschlages an ein schottisches Gericht und er akzeptiert, dass einer von ihnen zu 27 Jahren Haft verurteilt wird. Aber es dauert bis 2003, bis Libyen offiziell die Verantwortung für den Anschlag übernimmt. In der Folge werden die UN-Resolutionen offiziell aufgehoben.

Im Rahmen dieses Eingeständnisses erklärt Libyen sich zur Zahlung von Entschädigung an die Hinterbliebenen der Opfer bereit. Nach demselben Muster geht es gegenüber Frankreich vor, das auch ein Flugzeug durch einen libyschen Anschlag verloren hat. Und auch im Fall "La Belle" werden Entschädigungszahlungen vereinbart: Im September 2004 - 18 Jahre nach dem Anschlag - verpflichtet sich die "Gaddafi-Stiftung" zur Zahlung von 35 Millionen Dollar an die Opfer des Berliner Anschlags.

Der Weg nach Europa ist offen: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder besucht Gaddafi nur Wochen nach dieser Einigung in dessen Beduinenzelt, und die Europäer empfangen den libyschen Staatschef wenig später (im April 2004) in Brüssel. Der erste offizielle Besuch Gaddafis in Europa in fünfzehn Jahren.

Libyen als Wirtschaftspartner gefragt

Gerhard Schröder bei Wintershall in Libyen
Gerhard Schröder im Oktober 2004 auf einer Erdöl-Bohrstelle der BASF-Tochter Wintershall in LibyenBild: AP

In Libyen geben sich inzwischen die Vertreter der europäischen Wirtschaft die Klinke in die Hand, und auch die USA entwickeln verstärktes Interesse an Libyen. Dem kommt entgegen, dass Libyen Ende 2003 offiziell versichert hat, alle Bemühungen zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen einzustellen. Washington belohnt solches Wohlverhalten im April 2004 mit der offiziellen Aufhebung der letzten Sanktionen gegen Libyen.

Amerikanische Firmen konkurrieren nun offen mit den Europäern um Verträge in Libyen. Doch das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Afrikas öffnet sich nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem internationalen Tourismus. Es leidet weiterhin an dramatischem Demokratie-Defizit, einem Mangel an Freiheit und Menschenrechten, aber es hat sich den Weg zurück in die Staatengemeinschaft erkauft.

Ohne damit allerdings wirklich zufrieden zu sein: So beklagt Tripolis, dass Washington Libyen weiterhin auf der Liste der Staaten führe, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt werden. Mit der Folge, dass amerikanische Waffenlieferungen nicht und amerikanische Entwicklungshilfe nur begrenzt zulässig sind. Der Leiter der libyschen Mission in Washington argwöhnt gar, dass sein Land von den USA betrogen worden sei. Die USA schweigen bisher dazu. In Europa nutzt man die neue Offenheit gegenüber Libyen: So soll Frankreich sich dieser Tage sogar bereit erklärt haben, Libyen mit Atomtechnologie zur friedlichen Nutzung und zur Energiegewinnung zu beliefern.