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Leerlauf der Unerwünschten

Patrick Tippelt, Thailand12. Februar 2007

"Neutral", das war bisher immer etwas Gutes. Doch weil der Medien-Alarmismus auch Thailand ergriffen hat, bedient man sich hier gern simpler Metaphern. Hauptsache, der Mann auf der Straße - und im Stau - versteht sie.

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Ein weißes N, das ist jedem Bangkoker bekannt, der zu oft in den Straßen seiner Stadt im Stau stecken bleibt. Zwar sind die Horrorzeiten der späten Neunziger vorbei, als jeder Autobesitzer eine mobile Toilette im Wagen hatte, als eine Fahrt zum Flughafen noch gut drei, vier Stunden dauern konnte. Damals, vor der Asienkrise, als noch weder U- noch Hochbahn den stetig wachsenden Verkehr auflockerten, als jeder kleine Geschäftsmann einen Drittwagen kaufte, für den Nachwuchs.

Dank der Krise verbesserte sich die Verkehrssituation auf Bangkoks Straßen. Doch noch immer bewegt man sich mit durchschnittlich sechs Stundenkilometern durch die Stadt. Der Berufsverkehr dauert morgens von sechs Uhr bis zehn Uhr und nachmittags von 16 bis 21 Uhr. Neun Stunden Stoßverkehr täglich - da kommt das weiße N gut. In jedem Auto mit Automatikgetriebe steht es für Leerlauf, in dem man gemütlich vor sich hinrollt, ohne das Gaspedal zu betätigen.

Medien-Alarm!

Doch im post-putschigen Thailand hat der Begriff "neutral" noch eine ganz andere Bedeutung. Denn auch Thailand lebt im medien-alarmistischen Zeitalter, das den Westen weitgehend unter seine Fittiche genommen hat. Allen voran das Fernsehen. Ob trügerische Kochshows in Deutschland, die Kriegswerbung in den USA oder eben ein neues Gefüge in Thailand - gewisse Medien verstehen es hervorragend, Konsumenten den Kopf zu (ver)drehen, in die ihnen genehme Richtung.

Stiller Leerlauf

Das "Neutrale" in Thailands Mediensprache, das sind die Beamten, die sich still gegen die Putschisten wehren, und gegen deren Versuche, Anhänger und Helfer des gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra vor Gericht zu stellen oder sie wenigstens ausfindig zu machen. Und zwar so still, dass auch sie selbst nicht geortet werden können von der Junta. Und so vergeht kaum ein Tag, an dem man in der Presse Thailands nicht über den "Leerlauf" im Regierungsgetriebe zu lesen bekommt.

Niemand weiß um den Kreierer des Ausdrucks. Viele meinen, es sei ein Politikwissenschaftler gewesen, doch der streitet es ab - er habe ihn in einem Treffen mit dem Premier zum ersten Mal vernommen. Doch dies kommt bei Neologismen des Öfteren vor. Einen Medienpreis für kreative Wortschöpfungen wie den in Deutschland hat Thailand nicht.

Ruhmlos, doch einträglich

Was aber die Lexikologen und Sprachwissenschaftler Thailands eint ist, dass sie den Begriff alle mögen, da sie ihn als zutreffend bezeichnen - für die ruhige Gegenwehr der Apparatschiks im langsam mahlenden Getriebe des Beamtentums. Beamte, die seit Jahrzehnten auf der Stelle treten, sich nie um die Tagespolitik scheren, sondern um ihre recht ruhmlose, doch immer einträgliche Karriere. Die aber auch fürchten, sich der jetzigen Regierung zu beugen, aus Angst, sie könnten enttarnt werden, falls wieder ganz andere Kräfte in Thailand walten werden.

Dagegen wollen viele in Thailand etwas tun. Und nutzen diese recht simple Metapher, um das Volk an sich zu halten - indem sie die trägen Staatsdiener auszugrenzen versuchen. Politische Kultur benutzt stets Übertragungen, sei es zwecks Propaganda oder der Klassifizierung von politisch Unerwünschten. Der Begriff der "Neutralen" greift rasch - er ist des Bildes des Bürokratentums als Maschinerie entlehnt. Ein Bild, das die meisten Thailänder verstehen. Und für jeden anderen ist es die Erinnerung an den täglichen Stau in Bangkok.