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Falscher Vergleich zu Kosovo

28. August 2008

Der russische Präsident Medwedew verweist auf Kosovo, um die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens zu rechtfertigen. Aus der Sicht von deutschen Außenpolitik-Experten ist das nicht haltbar.

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Plakat für Unabhängigkeit des KosovoBild: AP

"Wir werden bald volle diplomatische Beziehungen zu dem neuen Staat Kosovo aufnehmen." So US-Präsident George W. Bush am 17. Februar 2008. Wie die USA haben auch 20 der 27 EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt. Nicht zuletzt Deutschland hatte sich während des Zerfalls Jugoslawiens für die Unabhängigkeit der Teilrepubliken stark gemacht. Deutschland war der erste Staat, der im Dezember 1991 die Unabhängigkeit Sloweniens anerkannte, ähnlich verhielt es sich kurz darauf mit Kroatien.

Jetzt muss der Westen erneut auf die Unabhängigkeitsbestrebungen abtrünniger Republiken beziehungsweise Regionen in seiner Nachbarschaft reagieren. Und zwar durch die russische Anerkennung Südossetiens und Abchasiens, die schon länger aus dem georgischen Staatsverband austreten wollen. Die EU, die NATO und auch Deutschland lehnen den Schritt Moskaus kategorisch ab.

Vergleichbare Fälle?

Spricht die EU also mit gespaltener Zunge – oder sind die beiden Fälle Kosovo und Südossetien nicht vergleichbar? Ruprecht Polenz, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, sagt ganz klar: Sie sind nicht vergleichbar. "Die Apartheidpolitik und das gewaltsame Vorgehen der Serben gegen die Albaner im Kosovo findet keine Parallele in dem Konflikt zwischen Osseten und Georgiern."

Europäische Politiker wie Polenz, aber auch der russische Präsident Dimitri Medwedew, berufen sich trotz konträrer Positionen beide auf das Völkerrecht. Im Völkerrecht hat die territoriale Integrität allerdings einen sehr hohen Stellenwert. Eine Minderheit habe nicht von vornherein das Recht, sich von einem Staat abzuspalten und seinen eigenen zu gründen, erläutert der Völkerrechtler Thomas Giegerich von der Universität Kiel: "Und zwar liegt der Grund darin, dass viele Staaten auf der Welt eine oder mehrere ethnische Minderheiten in ihren Grenzen haben. Wenn man ein allgemeines Sezessionsrecht anerkennen würde, würde die gesamte Weltordnung durcheinander geraten."

Völkermord als Rechtfertigung?

Allerdings gibt es Ausnahmen. Wird eine ethnische Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung vertrieben oder versucht die Regierung sie gar auszurotten, darf die Minderheit sich abspalten. Nur wann genau ist dieser Extremfall gegeben? Im Kaukasus beruft Russlands Präsident sich darauf, dass Georgien sich in Südossetien des Völkermords schuldig gemacht habe. Doch unabhängige Informationen seien darüber schwer zu bekommen, sagt Völkerrechtler Giegerich: "Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass das ausreichend faktisch begründet wäre. Deswegen würde ich diese Behauptung mit Skepsis betrachtet."

Im Kosovo sieht die Lage anders aus: 1995 ermordete die bosnisch-serbische Armee in Srebrenica etwa 8000 Bosniaken, ein Verbrechen, das von den Vereinten Nationen als Völkermord klassifiziert wurde. 1998 setzte eine Vertreibungskampagne der serbischen Regierung ein, mehr als 200.000 Kosovo-Albaner waren auf der Flucht. Thomas Giegerich sagt: "Da war dann die Auffassung des Westens, dass diese Vertreibungskampagne in weitere Gräueltaten wie in Srebrenica münden könne. Vor diesem Hintergrund hat man dann ein Sezessionsrecht der Kosovo-Albaner anerkannt, nachdem jahrelange Verhandlungen zwischen Kosovo-Albanern und Serben über eine friedliche Loslösung gescheitert waren."

Dass die westlichen Staaten die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt haben, hält Giegerich daher für völkerrechtlich gerechtfertigt. So gesehen messe der Westen nicht mit zweierlei Maß, wenn er jetzt für die territoriale Integrität Georgiens eintritt.

Widersprüche in Moskaus Politik

Eben das, mit zweierlei Maß zu messen, müsse man hingegen Russland vorwerfen, so der Außenpolitiker Ruprecht Polenz: „Bei Südossetien reklamiert Russland ein Recht auf Sezession, während es bei Tschetschenien größten Wert auf die eigene territoriale Integrität gelegt hat und sie mit äußerster Brutalität gegen die Tschetschenen durchgesetzt hat. Diese Widersprüchlichkeiten werden Russland noch Probleme bereiten."

Das Kosovo ist aus Polenz Sicht jedenfalls kein Präzedenzfall, auf den sich Russland berufen könne. Schon deshalb nicht, weil es diesen als Staat nicht anerkannt hat. Wolle sich Medwedew keine Doppelmoral in der Außenpolitik vorwerfen lassen, müsste er konsequenterweise für die Anerkennung des Kosovo durch Russland eintreten.

Manfred Götzke