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Prinzip Mülleimer

Helle Jeppesen21. März 2007

Der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz kritisiert in seinem Bildungsbericht vor allem das mehrgliedrige Schulsystem in Deutschland. Die internationale Kritik ist nicht neu, meint Helle Jeppesen.

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Prinzip Mülleimer - so könnte man das deutsche Schulsystem mit der frühen Gliederung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium beschreiben. Nach der Grundschulzeit von in der Regel vier Jahren werden die Sprösslinge im zarten Alter von 10 Jahren bereits für ihren Zukunftsweg bewertet: Wer bis dahin eher schlechte Leistungen gezeigt hat, wird in die Hauptschule geschoben, die heute mehr oder weniger einem Mülleimer gleicht. Wer dort seinen Schulweg fortsetzen muss, bekommt schon in diesem Alter zu spüren, dass er für die Gesellschaft abgeschrieben ist. Kein Wunder, dass 40 Prozent der Schüler mit Migrantionshintergrund ohne jegliche berufliche Qualifikation bleiben.

Mehr individuelle Förderung

Einzig die in Deutschland umstrittenen Gesamtschulen lassen den Kindern die Möglichkeit, sich bis zum 10. Schuljahr - also etwa bis zum 16. Lebensjahr - in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln. Sie fördern somit im Prinzip alle Kinder, ob aus sozial schwachen oder gesicherten Familien, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, ob mit oder ohne Behinderung. Das ist das Gebot der Menschenrechte und gehört zu den Zielen der UNESCO. Kinder sollen sich nach ihren Fähigkeiten und nicht nach sozialer Herkunft entwickeln können.

Dass das veraltete Bildungssystem in Deutschland einer modernen Gesellschaft nicht mehr gerecht wird, hat sich in Deutschland schon vor dem Bericht von UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz herumgesprochen. Diverse PISA-Studien der OECD, Berichte von Bildungsexperten und Vergleiche mit anderen europäischen Ländern führen langsam, aber sicher in Richtung Umdenken.

Gesamtschüler sind optimistischer

So hat das ifo-Institut vor kurzem eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass die Bundesländer, die weniger Schultypen haben und die Kinder nicht im frühen Alter aussortieren, eher Chancengleichheit bieten. Gleichzeitig sehen die Schüler in einem integrierten Schulsystem optimistischer in die Zukunft. Sie sehen für ihr persönliches Leben viel eher die Möglichkeit Perspektiven zu entwickeln.

Der UN-Sonderbeauftragte Vernor Muñoz betont zwar in seinem Bericht, dass das dreigliedrige Schulsystem nicht zwangsläufig reformiert werden muss. Es wäre auch nicht seine Aufgabe Auflagen zu erteilen. Doch er gibt zu bedenken, dass das jetzige System viel zu große Löcher hat und dass es das Recht auf Bildung für alle nicht gewährleistet. Insbesondere werden Kinder mit Migrantionshintergrund und aus sozial schwachen Familien sowie behinderte Kinder im jetzigen System diskriminiert.

Wichtiger Anstoß

Die Erkenntnis stößt in Deutschland bei vielen auf offene Ohren: Bei den Eltern, den Unternehmen und in den Universitäten. Denn nur, wenn Kinder sich persönlich und sozial in ihren Fähigkeiten entwickeln können, haben auch Familien die Chance auf bessere Zukunftsperspektiven.

Viele Bundesländer haben schon Reformen eingeleitet - der Bericht von Muñoz könnte ein weiterer Anstoß für bessere Ausbildungschancen für alle sein. Nicht aus Ideologie, sondern aus Not, weil es sich heute keine Gesellschaft leisten kann, auf zukünftige qualifizierte Bürger und Steuerzahler zu verzichten.