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Kindersklaven in der EU

Suzanne Krause15. Dezember 2008

Geklaut, gekauft, von den Eltern alleine gelassen. Vor allem in Osteuropa gibt es viele Kinder, die zu Sklaven gemacht werden. Oftmals müssen sie im reichen Westen Geld verdienen. Initiativen versuchen ihnen zu helfen.

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Dieses Mädchen spielt für ein paar Cent vor der Deutschen Staatsoper in Berlin auf dem Akkordeon - (Foto: dpa)
Dieses Mädchen muss als Straßenmusikantin Geld verdienenBild: picture-alliance/ dpa

Der Handel mit Kindern ist eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen überhaupt. Ein Hauptherkunftsland dieser modernen minderjährigen Sklaven in Europa ist Rumänien. Denn nachdem das Land 2007 der EU beigetreten war, suchten zahlreiche Erwachsene neue Verdienstmöglichkeiten jenseits der Grenze. Ihre Kinder ließen sie einfach Zuhause. Elena Timofticiuc kennt die Notlage dieser Kinder genau. Die Rumänin arbeitet beim ökumenischen Hilfsverein "AIDRom" in Bukarest. Sie nennt amtliche Zahlen, nach denen es Ende 2007 mindestens 100.000 Minderjährige gab, die von den Eltern im Land zurückgelassen wurden, bei Familienangehörigen oder manchmal einfach beim Nachbarn. Die Eltern waren zum Arbeiten im Ausland. Diese Kinder sind potentielle Beute für skrupellose Menschenhändler, die sie mit falschen Versprechungen anlocken.

Verkauft oder geklaut

Menschenhändler zwingen Kinder zum Betteln, den arglosen Eltern würde vorgegaukelt, sie in ein Ferienlager ins Ausland zu bringen. Stattdessen würden die Kinder verkauft und ausgebeutet. Nicht nur zum Betteln, sondern auch als Dienstmädchen im Haushalt. In anderen Fällen würden Kinder einfach gekidnappt, weiß Timofticiuc. Andere sind Waisenkinder.

Aber es gibt auch Fälle, in denen Eltern oder Verwandte die Kinder verkaufen. In Rumänien setzen Staat, Kirchen und Vereine deshalb auf Aufklärung und Vorbeugung. Im Februar 2008 startete die Regierung eine landesweite Kampagne unter dem Motto: "Lasst den Kindern ihre Kindheit". Nicht-Regierungsorganisationen wenden sich speziell an Kinder. Beispielsweise mit Theaterstücken, die die Tagebuchaufzeichnungen von jungen Menschenhandels-Opfern aufgreifen.

Mangelndes Gefahrenbewusstsein von gefährdeten Kindern

Wenn Kinder Gleichaltrigen erzählen, dass einfach alles passieren kann, dann sei das sehr wirksam, so Timofticiuc. "Denn viele Kinder, die wir über die Gefahren aufzuklären versuchen, antworten: 'Mir kann nichts passieren. Ich spreche Englisch, ich spreche Deutsch. Selbst wenn ich von Menschenhändlern ins Ausland verschleppt werde, kann ich mir Hilfe suchen'." Wenn aber ein Gleichaltriger erzähle, was ihm zugestoßen sei, komme die Botschaft besser an.

Initiativen wie in Rumänien haben europaweit Seltenheitswert. Das katholische Hilfswerk Caritas und seine Partnerorganisationen möchten das ändern. Sie wollen die Zivilgesellschaft mobilisieren und über das wahre Maß des Verbrechens aufklären.

Konvention gegen Menschenhandel ratifizieren und kontrollieren

"Der Europarat hat im Mai 2005 eine Konvention gegen Menschenhandel verabschiedet. Es ist unbedingt notwendig, dass alle europäischen Staaten dieses Abkommen ratifizieren und bei sich umsetzen", sagt Geneviève Colas, bei der französischen Caritas zuständig für das Thema Menschenhandel. Derzeit werde ein Kontrollmechanismus aufgebaut, um zu überwachen, ob alle Länder das Abkommen einhalten. Das müsse dringend kontrolliert werden.

Für das Abkommen wirbt der Europarat mit einem Poster. Es zeigt ein in Zellophan verpacktes Foto eines jungen Mädchens, als sei es eine Ware im Supermarktregal. Auf dem Päckchen steht: "Mensch, unverkäuflich". Drei Ziele verfolgt die Konvention: den Menschenhandel zu verhindern, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, und die Menschenhändler zu verfolgen.

Bettler, Diebe, Prostituierte

Laut Europarat werden in allen 46 Mitgliedsstaaten Kinder gehandelt. Die "Ware Kind" stammt zumeist aus Südosteuropa, wo die Armut grassiert. Ausgebeutet werden die minderjährigen Zwangsarbeiter dann in Westeuropa, in den reichen Staaten. Die Menschenhändler setzen sie als Bettler in der Pariser Metro ein, als Diebe auf dem Berliner Kurfürstendamm oder als Prostituierte in den Gassen von Rom.

Die EU-Politik, die die legale Einreise für billige Arbeitskräfte immer mehr erschwert, fördert den Sklavenhandel sogar noch, klagen EU-Parlamentarier wie Edit Bauer. Die Slowenin macht sich große Sorgen, ihre drei kleinen Enkel könnten Menschenhändlern in die Hände fallen. Bauer weiß, wovon sie spricht: Sie hat für das Europa-Parlament einen Bericht zum Thema Menschenhandel erstellt. Laut Experten nimmt Menschenhandel Platz drei der kriminellen Aktivitäten ein. Seine Gewinnspanne komme gleich nach dem Handel mit Drogen oder mit Waffen. Wahrscheinlich ist diese Aussage sogar schon überholt, denn der Menschenhandel gilt als Geschäft mit hohem Gewinn und niedrigen Risiken. Deshalb steht er heute möglicherweise schon auf Platz zwei der kriminellen Handelsaktivitäten und landet irgendwann auf Platz eins. "Denn für Drogen- und Waffenhändler sind die Risiken, gefasst zu werden, einfach höher", sagt Bauer.

Traum von einer europaweiten Kampagne

Hoffnung macht Edit Bauer eine schwedische Initiative: Die Regierung in Stockholm hat ein Staatssekretariat aufgebaut, das Menschenhandel bekämpfen soll. Ein erster Schritt hin zu besserem Schutz für die Opfer, glauben die slowenische Politikerin und andere Experten. Denn daran mangelt es in ganz Europa.

Um Politiker und Zivilgesellschaft wachzurütteln, träumt die rumänische Aktivistin Elena Timofticiuc von einer europaweiten Aufklärungskampagne: "Egal, woher unsere Kinder stammen: Sie gehören zu Europa. Und sie sind Europas Zukunft."

Zwei Jungen helfen in Diyarbakir in der Türkei beim Bau von Zäunen und Toren (Foto: dpa/August 2008)
Zwei Jungen helfen in Diyarbakir in der Türkei beim Bau von Zäunen und TorenBild: picture-alliance/ dpa
Ein Bordell an der deutsch-tschechischen Grenze: Auch Kinder aus Osteuropa werden im Westen zur Prostitution gezwungen (Foto: AP/Montage)
Ein Bordell an der deutsch-tschechischen Grenze: Auch Kinder aus Osteuropa werden im Westen zur Prostitution gezwungenBild: AP/DW
Der zwölfjährige Alin Iordache ist Waise und wurde zusammen mit seinen Stofftieren in einem Kinderheim in der rumänischen Hauptstadt Bukarest aufgenommen (Foto: AP/2000)
Der zwölfjährige Alin Iordache ist Waise und wurde zusammen mit seinen Stofftieren in einem Kinderheim in der rumänischen Hauptstadt Bukarest aufgenommenBild: AP