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Breite Sympathie für Joachim Gauck

29. Juni 2010

Für die Bundesversammlung am 30. Juni scheint eigentlich alles klar. CDU, CSU und FDP haben eine ausreichende Mehrheit für ihren Kandidaten Christian Wulff. Doch die Wahl zum Bundespräsidenten ist noch nicht gelaufen.

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Joachim Gauck (Foto: dpa)
Joachim Gauck - der neue Bundespräsident?Bild: picture-alliance/dpa

Als linken, liberalen Konservativen, vielleicht aber auch als konservativen liberalen Linken - so sieht Joachim Gauck selbst seine politische Richtung. Und zitiert damit den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, auf den wiederum auch Gesine Schwan, die Oppositionskandidatin bei den beiden letzten Bundespräsidenten-Wahlen, große Stücke gehalten hat.

Gauck ist parteilos, aber ganz und gar nicht unpolitisch. Er ist kein skurriler Exot wie der beim letzten Mal von der Linkspartei aufgestellte bekannte TV-Schauspieler Peter Sodann.

Schon 1999 hätten ihn Kreise der CSU gern gegen Johannes Rau ins Rennen geschickt. Das lehnte Gauck damals ab. Auch 2004, bei der ersten Nominierung von Horst Köhler, hatte manch einer eher in Gauck einen idealen Kandidaten gesehen.

Unter Beobachtung der Stasi

Joachim Gauck wurde am 24. Januar 1940 in Rostock geboren. Geprägt hat ihn, so schreibt er in seinen Erinnerungen, wie sein Vater 1951 wegen angeblicher Spionage vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und für vier Jahre nach Sibirien deportiert wurde.

Mit diesem familiären Hintergrund und als Nichtmitglied der Jugendorganisation FDJ bekommt Gauck keinen Studienplatz für Germanistik. Stattdessen nimmt er 1958 ein Theologiestudium auf. Seit 1965 arbeitet er als Pastor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg - erst in Lüssow, dann in Rostock.

Er lebt unter ständiger Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS oder Stasi genannt. Als Dissident sieht sich Gauck in dieser Zeit dennoch nicht, sondern eher als Teil einer regimefernen Opposition und bis zu einem gewissen Grad geschützt durch die Institution Evangelische Kirche.

Die Kirche spielte dann im Wendejahr 1989 eine wichtige Rolle. Gauck wird Sprecher der Bürgerbewegung Neues Forum in Rostock. Er leitet die wöchentlichen Gottesdienste und führt die anschließenden Großdemonstrationen an. Ab März 1990 ist er Abgeordneter des Neuen Forums in der Volkskammer der DDR.

Hüter der Stasi-Hinterlassenschaften

Papierschnipsel von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) (Foto: DPA)
Papierschnipsel von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)Bild: picture-alliance/ dpa

In der Volkskammer übernimmt er eine Aufgabe, die ihn ein Jahrzehnt lang beschäftigen wird: die Sicherung der Hinterlassenschaften des MfS. Zwar hatten die Angehörigen des Spitzel- und Unterdrückungsapparates die Reißwölfe rund um die Uhr laufen lassen, als sich das Ende der SED-Herrschaft abzeichnete. Aber die landesweite Erstürmung der Stasi-Gebäude durch die Bevölkerung machte der Vertuschungsaktion ein Ende.

Am 2. Oktober 1990 wird Joachim Gauck von der Volkskammer zum "Sonderbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR" ernannt und einen Tag später von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl in diesem Amt bestätigt. Aus dem "Sonderbeauftragten" wird wenig später der "Bundesbeauftragte". Die von ihm geleitete Einrichtung wird im Sprachgebrauch schlicht und einfach zur "Gauck-Behörde".

Nach den zwei zulässigen Amtsperioden übergibt Joachim Gauck im Jahr 2000 die Geschäfte an seine Nachfolgerin Marianne Birthler. Seitdem bekleidet er keine politischen Ämter mehr - trotz diverser Angebote. Aber er meldet sich durchaus immer mal wieder zu Wort, nicht unbedingt zur Freude von DDR-Nostalgikern oder Politikern unter Stasi-Verdacht.

Linke Bauchschmerzen

Kein Wunder, dass die ganz linken Linken nun die größten Probleme damit haben, den linken, liberalen Konservativen ins Amt des Bundespräsidenten zu wählen. Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch sieht in Gauck einen "Mann der Vergangenheit" und vermisst "Impulse für die Zukunft". Gaucks Attacken auf den langjährigen Linken-Chef Gregor Gysi seien "keine gute Voraussetzung für eine Wahl". Inhaltlich etwas fundierter argumentiert ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst. Gauck stehe im Bereich der Sozialpolitik für Positionen, die man nicht teilen könne. "Jetzt bräuchten wir einen Präsidenten, der sich als Anwalt der Bürger versteht, wenn das Arbeitslosengeld oder das Elterngeld gekürzt wird".

Der Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, will dagegen dafür werben, Gauck zumindest in einem eventuellen zweiten Wahlgang die Stimme zu geben.

Sympathien aus dem anderen Lager

Monateg Gauck und Wulff (Foto: apn)
Wer wird es? Gauck oder Wulff?Bild: AP

Trotz der Nominierung Gaucks durch SPD und Grüne ist noch längst nicht ausgemacht, dass alle Vertreter der regierenden Koalitionsparteien in der Bundesversammlung das Kreuzchen für Christian Wulff machen. CDU-Vorstandsmitglied Dagmar Schipanski, selbst einst für das Amt nominiert, sagte, sie werde es mit ihrem Gewissen ausmachen, wen von beiden sie wählt.

Ihr Parteikollege Jörg Schönbohm fragt sich, warum es nicht möglich gewesen sei, "sich im bürgerlichen Lager mit der SPD auf Gauck zu einigen".

Er halte einen eigenen Wahlsieg für unwahrscheinlich, sagt Gauck. Allerdings sei es angesichts der Sprachstörungen zwischen Regierenden und Regierten auch nicht ein Krankheitszeichen für das Funktionieren der Demokratie, wenn die Wahl anders ausgehen sollte, als von der Parteiräson gefordert.

Autor: Michael Gessat

Redaktion: Oliver Samson (kas)