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„In Russland fehlen effektive Investitionsprojekte“

20. Oktober 2005

In Moskau hat am 17. Oktober das Weltwirtschaftsforum begonnen. DW-RADIO/Russisch sprach mit dem Experten des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Michael Harms, über das derzeitige Investitionsklima in Russland.

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Der Yukos-Prozess hat viele Investoren verunsichertBild: dpa

DW-RADIO/Russisch: Herr Harms, wie bewerten Sie das gegenwärtige Investitionsklima in Russland?

Michael Harms: Hier muss man zwei Aspekte des Klimas unterschieden. Einerseits ist das die makroökonomische und finanzielle Lage in Russland, die derzeit günstig ist. Das ist darauf zurückzuführen, dass in den vergangenen Jahren in wichtigen Bereichen der russischen Wirtschaftsgesetze wichtige und liberale Reformen durchgeführt wurden. Ich möchte hier unter anderem an die Reform der Steuergesetze, die Reform im Bankenwesen, die sogenannte transparente Verwaltung der Firmen und die Reform im kommunalen Wohnwesen erinnern. Andererseits ist die Finanzlage Russlands heute vor allem dank der günstigen Konjunktur auf dem Energiemark sehr gut. In Russland gibt es sehr viel Geld und natürlich wird Geld für Investitionsprojekte ausgegeben.

Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der in erster Linie politische Signale betrifft, die von Russland seit zwei Jahren ausgehen. Hier gibt es natürlich widersprüchliche Signale, angefangen mit dem Fall Yukos bis hin zu gewissen widersprüchlichen Entwicklungen im politischen Bereich. Das wird natürlich auch von Investoren wahrgenommen. In dieser Hinsicht beobachten wir ungünstige Tendenzen.

Der in Ungnade gefallene Oligarch Leonid Newslin ist der Ansicht, dass sich das Interesse westlicher Investoren am russischen Markt auf kurzfristige Börsenspekulationen beschränkt. Ihm zufolge gehen Geschäftsleute, die wirklich in Russland investieren, über Putin und verlangen Garantien ihrer Regierungen, was für Entwicklungsländer in Lateinamerika oder Afrika charakteristisch ist. Stimmen Sie dem zu?

Nicht ganz, aber ein Stück Wahrheit steck darin. Ich würde sagen, dass natürlich Marktinvestitionen, vor allem direkte Investitionen, sogenannte Greenfield Investments, absolut unzureichend sind. Das geht auf das Investitionsklima in Russland zurück. Was große Projekte betrifft, beispielsweise im Energiesektor, so werden nirgendwo in der Welt große, milliardenschwere Investitionen in strategische, langfristige Projekte ohne die Politik gemacht. Es stimmt nicht ganz, dass man sich nur auf Putins Wort verlässt. Die Politik ist hier zwingend erforderlich, aber kein westlicher Konzern ist so naiv, sich nur auf die Politik zu verlassen.

Viele sprechen heute in Russland von einem Wirtschaftsaufschwung und von dem Stabilisierungsfonds, in den Einnahmen aus dem Erdölexport fließen. Der Fonds wird Anfang kommenden Jahres 50 Milliarden Dollar erreichen. Gleichzeitig haben Millionen Russen, die im Staatsdienst tätig sind, nicht genug zum Leben. Wo liegt das Problem?

Die deutsche Regierung weiß nicht, woher sie das Geld nehmen soll, und die russische Regierung weiß nicht, wie sie das Geld ausgeben soll. Ich möchte aber vor einer Euphorie warnen. Das ist natürlich erfreulich. Der Preis von 60 Dollar pro Barrel bringt dem russischen Staatshaushalt und dem sogenannten Stabilitätsfonds viel Geld ein. Das große Problem ist aber, dass die russische Wirtschaft und Politik nicht in der Lage sind, das Geld effektiv einzusetzen. Es gibt nicht genügend effektive Investitionsprojekte. Das Geld kann effektiv ausgegeben werden, ohne dass die Inflation angeheizt wird. Das ist das große Problem. Ich würde die russische Regierung in ihrer noch konservativen Politik sehr unterstützen, das Geld des Stabilitätsfonds nicht planlos auszugeben.

Das Gespräch führte Sergej Wilhem

DW-RADIO/Russisch, 17.10.2005, Fokus Ost-Südost