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Große Herausforderungen und große Chancen

Uta Thofern10. Oktober 2005

Angela Merkel wird die erste Bundeskanzlerin - aber unter ungünstigen Bedingungen. Das darf nicht über die Chancen einer großen Koalition und über Merkels Fähigkeiten hinwegtäuschen, meint Uta Thofern in ihrem Kommentar.

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Angela Merkel hat bei der Bundestagswahl keinen überzeugenden Sieg hinbekommen. Das dürfte zu ihren schwersten Hypotheken gehören. Ein klarer Rückhalt in der Bevölkerung fehlt ihr damit ebenso wie die eindeutige Unterstützung ihrer Partei. Viele, zu viele ehrgeizige Ministerpräsidenten der Union hätten sich selbst eindeutig für die besseren Kandidaten gehalten. Und viele Funktionsträger und einfache Parteimitglieder konnten sich nie recht anfreunden mit dieser kühlen, evangelischen Ostdeutschen. Merkel hat - im Gegensatz zu ihren beiden schwergewichtigen Vorgängern Helmut Kohl und Gerhard Schröder - noch nie eine Regierung geführt. Es gibt kein Bundesland, in dem sie eine Hausmacht hätte.

Chefredakteurin DW-RADIO Uta Thofern
Chefredakteurin DW-RADIO Uta ThofernBild: DW

Sie hat mit der SPD einen äußerst schwierigen Koalitionspartner, der selbst durch das Wahlergebnis und den Verlust der Führungsfigur Gerhard Schröder geschwächt ist. Die SPD muss in der großen Koalition einen problematischen Balanceakt zwischen konstruktiver Regierungsarbeit einerseits und einer starken, auch innerparteilichen, linken Opposition andererseits bewältigen. Zuverlässige Partner sehen anders aus.

Große Herausforderungen

Die Regierung Merkel steht vor den größten wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Reformen der Vorgängerregierung müssen entschlossen fortgesetzt und vor allem weitergeführt werden, damit die sozialen Sicherungssysteme saniert und die Konjunktur angekurbelt werden kann. All dies vor dem Hintergrund einer Haushaltskrise, die das Vorstellungsvermögen der meisten Bundesbürger schon lange überfordert.

Mancher gestandene Politiker würde angesichts einer solchen Situation den Mut verlieren - Angela Merkel nicht. Selten war Merkel so heiter gelassen zu erleben wie in den letzten Tagen, als immer deutlicher wurde, dass sie die Last der Regierungsverantwortung zu schultern haben würde. Diese Frau hat schon viele Bürden getragen - aushalten kann sie.

Und meisterlich taktieren. Merkel hat in den vergangenen Jahren all ihre innerparteilichen Widersacher still und leise an die Wand gespielt. Seit sie als Erste aus dem großen Schatten ihres Vorvorgängers Helmut Kohl heraustrat, hat sie die CDU straffer geführt, als es manchmal den Anschein hatte. Merkel zieht die Zügel erst an, wenn es nötig wird. In der Unionsfraktion hat sie sich Respekt und Unterstützung erarbeitet - das gleicht die fehlende Regierungserfahrung aus und ersetzt die Hausmacht. Zumal mit ihrem bisherigen Generalsekretär Volker Kauder einer ihrer engsten Vertrauten die Führung der Fraktion übernehmen wird.

Kluge Ressortverteilung

Klug verteilt sind auch die einzelnen Ministerien. Zwar hat die SPD zwei Ressorts mehr bekommen als die Union, weil diese die Regierungschefin und den Kanzleramtsminister stellt. Doch ob die Sozialdemokraten daran ihre reine Freude haben werden, darf bezweifelt werden. Prestige und Profilierungsmöglichkeiten verspricht nur das Außenministerium. Alle anderen Ressorts der SPD sind entweder nach gängiger Lesart weniger bedeutend - wie Justiz, Entwicklung, Umwelt. Oder aber sie werden gerade die Sozialdemokraten vor schwere Zerreißproben stellen.

Der Finanzminister muss den maroden Haushalt sanieren, soll aber auch die Steuern reformieren, also senken. Die Minister für Arbeit und Soziales sowie Gesundheit müssen die leeren Kassen der Sozialversicherungen füllen und gleichzeitig die Lohnnebenkosten senken, um bessere Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu schaffen. Sich in dieser Situation als soziales Gewissen zu profilieren, dürfte sehr schwer fallen. Wohltaten sind jedenfalls nicht mehr zu verteilen.

Große Koalition doch Glücksfall?

Die Richtlinienkompetenz liegt in jedem Fall bei der Kanzlerin. Und die hat ihren größten Widersacher, den CSU-Chef Edmund Stoiber, geschickt eingebunden: Das Schlüsselressort Wirtschaft und Zukunftstechnologie hat mit Stoiber einen Chef, der sich einen Misserfolg nicht leisten kann. Für ihn gibt es keinen Weg zurück nach Bayern.

Eine kluge Personalpolitik ist nicht alles. Doch vieles spricht dafür, dass Deutschland mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin wieder eine handlungsfähige Regierung bekommt. Wenn die Sozialdemokraten ihren Teil der Regierungsverantwortung konstruktiv wahrnehmen, könnte die große Koalition doch noch ein Glücksfall für das Land werden. Ob die Deutschen Angela Merkel dann mögen werden?