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Grenzenlos handwerken?

Ingun Arnold28. März 2002

Deutschlandweit sind mehr als 200.000 Stellen frei - und trotzdem kommt das Handwerk nicht aus der Krise. In den östlichen Grenzregionen Deutschlands sorgen die Pläne zur Erweiterung der EU zusätzlich für Unmut.

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Vielen Handwerkern fehlt der "goldene Boden" unter den FüßenBild: AP

Was fällt einem nicht alles zu "Böhmen" ein: böhmische Knödel, Pilsner Bier, mondäne Badeorte, grusliger Böhmerwald. Den Sachsen und Bayern, die direkt an der Grenze wohnen, fällt wahrscheinlich noch mehr dazu ein: eine billige Autowerkstatt, günstiges Benzin, erschwingliche Haarschneider, die Putzfrau. Im "Toten Winkel" zu wohnen, ist seit 1989 nicht mehr unbedingt ein Nachteil.

Autowerkstatt
Der Preis stimmtBild: Bilderbox

Vergleichbare Leistung zum Spottpreis

Den ortsansässigen Handwerkern sind die Grenzgänge ihrer Landsleute allerdings oft ein Dorn im Auge. Denn ihnen laufen die Kunden davon. Jenseits der grünen Grenze kosten die Handwerksdienste nur ein Bruchteil - Qualitätsstandards hin oder her.

Der Wettbewerbsdruck ist umso größer, je näher der Handwerksbetrieb an der Grenze liegt und je unabhängiger das Angebot vom Standort ist. Will heißen: Eine Heizung reparieren, Tapeten kleben, einen Mantel ausbessern - das können die Handwerker hüben wie drüben. Der Kunde schielt in erster Linie auf den Preis. Wenn die Alteingesessenenweiterhin eine Chance haben wollen, dann sind kundenfreundliche Zusatzleistungen gefragt.

Lohn- und Wohlstandsgefälle

Doch wie sollen die Handwerker mehr leisten, wenn ihnen das Personal langsam ausgeht? Die Begeisterung des Nachwuchses hält sich in Grenzen, es fehlen Auszubildende und Gesellen. Diesem Missstand soll nach dem Willen der Bundesregierung eine gezielte Einwanderung abhelfen. An Interessenten sollte es nicht mangeln, sind doch die Löhne in Deutschland im Durchschnitt acht- bis zehnmal höher als im osteuropäischen Ausland. Oder anders herum: Selbst wenn ein Tscheche lediglich für die Hälfte des Lohns seiner deutschen Kollegen arbeiten würde, hätte er fünfmal mehr auf dem Konto als seine Landsleute daheim.

Friseur
Dauerwelle zum TiefstpreisBild: Bilderbox

"Bäumchen, wechsle dich"

Tischler in seinem Werkstatt
Tischler in seiner WerkstattBild: Bilderbox

Die Situation ist paradox: Wegen der weitaus geringeren Arbeitseinkommen und Produktionskosten wollen viele Handwerker Teile ihrer Betriebe ins osteuropäische Ausland verlagern. Aber wer soll in diesen Betrieben arbeiten, wenn immer mehr Fachkräfte in die entgegengesetzte Richtung auswandern? In Böhmen zum Beispiel ist der Hochleistungssektor des Arbeitsmarkts wie leergefegt: Ingenieure, Manager und auch viele Facharbeiter sind nicht länger willens, für die niedrigen einheimischen Löhne zu arbeiten.

Die Chancen der Osterweiterung

Schneider
Die Produktion wird ausgelagertBild: Bilderbox

Die Osterweiterung wird nicht nur Wettbewerbsverzerrung und Sorgen mit sich bringen. In den Euregio-Zonen an den Grenzen zu Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden hat sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit schon bewährt.

Den Handwerkern kommen neue Beschaffungsmärkte, günstige Einkaufsmöglichkeiten und der erweiterte Absatzmarkt zugute - viele Betriebe in den Grenzregionen wissen dies heute schon als Standortvorteil zu nutzen. Und für die meisten Handwerksbetriebe im "Binnenland" wird sich ohnehin nicht viel ändern. Denn sie sind in ihren lokalen Markt eingebunden, der sich nicht beliebig gen Osten ausdehnen lässt.