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Globalisierte Religion

Sabine Ripperger / Monika Dittrich11. Februar 2003

Wie können Muslime in Europa ihre religiöse Identität wahren, ohne sich von der nichtmuslimischen Umwelt abzukapseln? Die Anschläge vom 11. September haben der Debatte um Integration und Toleranz neuen Schub gegeben.

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Zwischen Tradition und Moderne: Muslime in EuropaBild: AP

Europas Muslime suchen nach ihrer Identität in der westlichen Moderne. Sie suchen einen gesunden Mittelweg zwischen einer blinden Anpassung an die westliche Gesellschaft einerseits und der Abgrenzung im religiösen Getto andererseits. Doch das Konzept des "Euro-Islam", das bereits in den 1990er-Jahren von dem Göttinger Politologen Bassam Tibi geprägt wurde, bleibt unter Experten nach wie vor umstritten.

Für viele Muslime verbirgt sich hinter dem Begriff "Euro-Islam" ein Reizwort. Sie befürchten, dass damit etwas Neues geschaffen wird, das möglicherweise vom "wahren" Islam abweicht und ihre Religion verwässert.

Theologische Reformen

Auf einer Tagung in Berlin, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung eingeladen hatte, verteidigte der aus Syrien stammende Bassam Tibi sein Konzept. Islam und Moderne seien prinzipiell vereinbar und könnten miteinander gelebt werden, sagte Tibi in der Diskussionsrunde. Allerdings müssten Muslime ihre Religion mit den "europäischen Werten in Einklang bringen". Dies mache auch theologische Reformen notwendig. Die Gleichstellung von Mann und Frau etwa sei durchaus im Sinne des Koran.

Den Islam mit der kulturellen Identität oder mit der Moderne zu vereinbaren, sei eine Aufgabe für alle Muslime in der ganzen Welt, sagte Tibi. Man könne nicht einerseits in Europa leben wollen und andererseits die kulturelle Moderne ablehnen. Schätzungsweise 30 Millionen Muslime leben in europäischen Staaten, weil sie aus verschiedensten Gründen in ihren Heimatländern nicht mehr bleiben wollten oder konnten. Allein in Deutschland sind es 3,2 Millionen.

Keine neue Interpretation

Tibis Plädoyer für einen "Euro-Islam" stößt jedoch auch unter nicht-fundamentalistischen Muslimen auf Kritik. "Warum den Islam regional definieren?", fragte Ismail Kaplan von der Föderation der Alevitengemeinden in Deutschland. Auch Mehmet Soyhun von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) machte sein Unbehagen an dem Begriff deutlich: "Der Islam braucht keine grundlegend neue Interpretation", hielt er Tibi entgegen.

Doch welchen Stellenwert hat diese Debatte im Alltag der in Europa lebenden Muslime? Die meisten von ihnen haben die Normen der Industriegesellschaft weitgehend übernommen und mit ihren religiösen Traditionen vereinbart. Das ist zumindest das Ergebnis einer Studie, von der Faruk Sen, Direktor des Zentrums für Türkeistudien, berichtete. Laut dieser repräsentativen Befragung des Bundesinnenministeriums bezeichnen sich nur sieben Prozent der türkischen Muslime in Deutschland als "streng religiös".

Und noch etwas: Rund ein Drittel der in Europa lebenden türkischstämmigen Migranten besitzen inzwischen die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Landes, in dem sie leben. Ein sichtbarer Schritt auf dem Weg zur Integration.