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Europarat tadelt Putins "gelenkte Demokratie"

Cornelia Rabitz24. Juni 2005

Der Europarat in Straßburg hat die politische Situation in Russland kritisiert. Er beklagt Demokratiedefizite und Menschenrechts-Verletzungen. Ein peinliches Zeugnis, meint Cornelia Rabitz in ihrem Kommentar.

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Cornelia Rabitz

Der Europarat macht eine lange Mängelliste auf und spricht in seiner jüngsten, von der Parlamentarischen Versammlung verabschiedeten Expertise eine deutliche Sprache: In Russland gebe es immer noch schwere rechtsstaatliche Defizite, in einzelnen Bereichen seien sogar Rückschritte zu verzeichnen. Viele Zusagen, die Russland bei seiner Aufnahme in den Europarat vor über neun Jahren gemacht habe, seien immer noch nicht erfüllt.

Zahme Reaktion aus Russland

Die russische Reaktion auf den Bericht war überraschend zahm. Ein Indiz für die Geringschätzung des Europarats? Man äußerte sich zurückhaltend enttäuscht, wies einige Äußerungen als unannehmbar zurück und erklärte sodann die Bereitschaft, auf die Verpflichtungen gegenüber dem Gremium zurückzukommen. So wimmelt man Kritik einigermaßen elegant ab. Dabei böte die Auflistung des Rates wahrhaftig ausreichenden Anlass für politisches Handeln.

Die so genannte "gelenkte Demokratie" von Präsident Wladimir Putin entspreche nicht europäischen Standards. Als Beispiele nennt der Europarat die Änderungen beim Wahlsystem, die Anhebung der Sperrklausel zum Einzug in das Parlament, die weitere Stärkung der Machtposition des Präsidenten gegenüber anderen Verfassungsorganen, die Aushöhlung der Gewaltenteilung sowie eine politisch beeinflusste Justiz. Die Todesstrafe sei immer noch nicht endgültig abgeschafft. Eine pluralistische Demokratie mit freien Wahlen und unabhängigen Medien gebe es in Russland nicht.

Einschüchterung der Medien

Im Gegenteil: der Staatenbund beklagt die Beschneidung der Pressefreiheit, den Einfluss des russischen Staates auf die Medien des Landes, den wachsenden Druck auf unabhängige Journalisten sowie tendenziöse Wahlberichterstattung. Kritische Journalisten und auch Wissenschaftler würden durch gezielte Repression eingeschüchtert.

Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien blieben ungeahndet, es habe sich dort, so der Bericht, ein Klima der Recht- und Straflosigkeit ausgebreitet, in dem eine politische Lösung nicht gedeihen könne.

Kritik an Haftbedingungen

Noch immer unterhalte der Geheimdienst FSB eigene Gefängnisse. Und auch wenn die Zahl der Häftlinge landesweit inzwischen von 140.000 auf 80.000 zurückgegangen sei - was der Europarat ausdrücklich als Fortschritt bezeichnet -, so seien doch die Haftbedingungen inakzeptabel: Überfüllte Zellen, unerträgliche hygienische Zustände, schwere Gesundheitsprobleme vieler Inhaftierter und grassierende Gewalt listet das europäische Gremium auf.

Auch die Lage in der russischen Armee gibt Anlass zu höchster Besorgnis. Tausende junger Wehrpflichtiger würden von älteren Soldaten systematisch erniedrigt und gequält, ohne dass Vorgesetzte oder Militärbehörden dagegen einschritten. 25 junge Soldaten seien an den Folgen von Misshandlungen allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2004 gestorben, mehr als hundert hätten sich aus Verzweiflung das Leben genommen. Dies aber - so der Europarat - seien nur die Fälle, die den Gerichten bekannt würden. Das wirkliche Ausmaß des Problems sei vermutlich viel schlimmer.

Wenig Fortschritte

Die Liste der Fortschritte nimmt sich dagegen recht klein aus. So habe es Erfolge im Kampf des russischen Staates gegen Korruption und irreguläre Privatisierungen gegeben, schreibt der Europarat. Auf Zustimmung stoßen auch die Verabschiedung eines neuen Zivildienstgesetztes sowie die neue Strafprozessordnung.

Im Ergebnis heißt all dies freilich: Das "Monitoring" - die Überwachung der rechtsstaatlichen Entwicklung - soll fortgesetzt, Russlands Innenpolitik also weiter beobachtet werden. Ein peinliches Zeugnis nach immerhin neun Jahren Mitgliedschaft in diesem Gremium.

Natürlich muss man berücksichtigen, dass andere europäische Staaten mehr Zeit hatten, sich zu Demokratien zu entwickeln. Und sicher wäre es ein schiefes Bild, wenn man der russischen Innenpolitik lediglich den Abbau von Freiheitsrechten bescheinigte. Die Herausforderungen an den Staat sind enorm und können nicht innerhalb weniger Jahre gemeistert werden.

Putins Demokratie: Ideal oder bloßes Instrument?

Die Frage jedoch, ob Präsident Putin ein positives, also ideelles Verhältnis zur Demokratie pflegt oder lediglich ein instrumentelles, ist keineswegs eindeutig beantwortet. Und wenn der Europarat nun sogar Besorgnis erregende Rückschritte auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit feststellt, ist dies zweifellos ein Alarmzeichen.

Das Gremium vermeidet im Übrigen wohltuend den im Westen so häufig erhobenen belehrenden Zeigefinger. Es benennt Licht, aber eben auch mehr Schatten in der russischen Innenpolitik. Es macht das erweiterte Europa erneut darauf aufmerksam, dass an seinen Rändern und jenseits seiner Grenzen Unrecht und Diktatur noch längst nicht überwunden sind. Die Implementierung rechtsstaatlicher Standards nicht nur in der EU ist und bleibt daher ein Thema auf der politischen Agenda. Es ist ein Verdienst des Europarats auf diese Defizite immer wieder hinzuweisen. Auch wenn den Adressaten diese Kritik nicht gefällt.