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Erdbeben erschüttert die Türkei

8. März 2010

Ein Erdbeben der Stärke 6,0 und mehrere Nachbeben haben im Osten der Türkei sechs Dörfer zerstört und mindestens 51 Menschen in den Tod gerissen. Das erste Beben überraschte die Menschen im Schlaf.

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Ein Mann trägt den Leichnam eines Kindes in seinen Armen (Foto: dpa)
Besonders stark vom Erdbeben betroffen: das Dorf Okcular in Ost-AnatolienBild: picture alliance / dpa
Karte der Türkei mit der Erdbebenregion um Elazig (Grafik: DW)
Die Katatrophenregion liegt im Osten der TürkeiBild: DW

Die Einwohner wurden in der Nacht auf Montag (08.03.2010) gegen 4.32 Uhr Ortszeit im Schlaf von einem ersten Erdbeben überrascht. Mehr als 30 Nachbeben erschütterten die Region in der Provinz Elazig 550 Kilometer östlich von Ankara. Nach bisherigen Angaben kamen bisher mindestens 51 Menschen ums Leben, mehr als 100 Menschen wurden verletzt. Es wird erwartet, dass die Zahl der Opfer noch steigt. Ein Ende der Beben-Serie ist nicht abzusehen. Die Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul warnte, die Nachbeben könnten noch Tage andauern.

Rettungsmannschaften und Helfer suchen seit einigen Stunden fieberhaft nach Opfern und Überlebenden des Bebens. Die Hilfsorganisation Roter Halbmond schaffte Zelte in die Region, um Notlager für die Überlebenden zu errichten. Einige Bewohner waren nach dem Erdstoß in Panik aus den Fenstern ihrer Wohnungen gesprungen. "Ich bin rausgerannt, habe rechts und links geschaut, ob noch jemand im Haus ist, dann ist alles eingestürzt", erzählt eine Überlebende in Okcular. Wie viele Dorfbewohner hat sie sich nach ihrer eigenen Rettung an der Suche nach anderen Opfern beteiligt. Mit bloßen Händen habe sie in den Trümmern des Hauses von Verwandten gegraben, sagt sie - doch sie fand nur die Leichen von zwei Kindern und deren Mutter.

Erdogan spendet Trost

Das Beben am frühen Morgen war auch in den benachbarten Provinzen Tunceli, Bingöl and Diyarbakir so intensiv zu spüren, dass die Menschen in Panik auf die Straße rannten und den Rest der Nacht im Freien verbrachten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan versuchte, seinen geplagten Landsleute Trost zu spenden und sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Doch er kündigte auch Konsequenzen an. Zuerst forderte der Ministerpräsident die Bewohner in der Erdbebenregion auf, beschädigte Häuser nicht wieder zu betreten. Langfristig soll in der Region stabiler gebaut werden. Die Regierung werde neue Häuser errichten, die künftigen Erdbeben besser standhalten sollten, versprach Erdogan.

Die in dieser Gegend häufig für den Häuserbau verwendeten Materialien Lehm und Naturstein seien für die hohe Zahl der Todesopfer verantwortlich, sagte der Regierungschef. Die Lehmhäuser können selbst einem Erdstoß wie dem vom Montag, der von Experten der türkischen Erdbebenwarte Kandilli als schwer, aber keineswegs katastrophal eingestuft wird, nichts entgegensetzen.

Fachleute kritisieren Sorglosigkeit

Ein zusammengefallenes Haus in der Erdbebenregion (Foto: dpa)
Häuser aus Lehm und Naturstein: "Nicht das Beben tötet - einstürzende Häuser töten"Bild: picture alliance / dpa

Kurz nach den Beben meldeten sich die ersten Experten und mahnten bereits Sorglosigkeit im Umgang mit der Erdbebengefahr an. Fachleute wie der selbst aus der Unglücksprovinz Elazig stammende Wissenschaftler Naci Görür fragen sich, warum die Behörden und die Einwohner nicht mehr getan haben, um die Folgen möglicher Erdbeben zu reduzieren. Dass die Katastrophenregion ganz besonders bebengefährdet ist, sei vor kurzem bei mehreren Informationsveranstaltungen in der Region thematisiert worden, erklärte Görür im Gespräch mit einem türkischen Fernsehsender. Für ihn ist klar: "Unsere Bevölkerung und unsere Behörden nehmen die Warnungen nicht ernst."

Ähnlich argumentiert Ahmet Mete Isikara, der bekannteste Erdbebenexperte der Türkei: "Wir müssen lernen, mit Erdbeben zu leben", sagt Isikara der Internetausgabe der Zeitung "Sabah". Zu diesem Lernprozess gehöre eine einfache wie wichtige Lektion, fügt der Forscher hinzu: "Nicht das Beben tötet - einstürzende Häuser töten."

Geologische Zusammenhänge zwischen den Beben in Chile und der Katastrophe in der Osttürkei sind nach Meinung niederländischer Seismologen nicht zu erkennen. "Diese Ereignisse sind zu weit voneinander entfernt, um sich gegenseitig zu beeinflussen", erklärte Bernard Doft vom Meteorologischen Institut der Niederlande. Wie kaum ein anderes Land wird die Türkei immer wieder von verheerenden Erdbeben heimgesucht. Tief unter der Oberfläche reiben dort die Kontinentalplatten Afrikas und Eurasiens aneinander. An den Plattenrändern können dabei - wie jetzt in Ost-Anatolien - große Energiemengen freigesetzt werden, die schwere Verwüstungen anrichten. Der Osten der Türkei wurde zuletzt 2003 von einem schweren Erdbeben erschüttert. Damals wurde ein Schulwohnheim in der Provinz Bingöl zerstört, 83 Kinder wurden bei dem Unglück getötet. 1999 hatten zwei schwere Erdbeben im Nordwesten der Türkei rund 18.000 Menschen das Leben gekostet.

Barroso bietet Hilfe an

Jose Manuel Barroso (Foto: AP)
Barroso hat die EU-Kommissarin für Katastrophenhilfe informiertBild: AP

Die Europäische Union hat den Menschen in der Katastrophenregion Hilfe nach dem schweren Erdbeben angeboten. In einer Erklärung von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso heißt es, er habe die für Katastrophenhilfe zuständige Kommissarin Kristalina Georgiewa aufgefordert, bei Bedarf Hilfe anzubieten. Barroso wörtlich: "Ich bin zutiefst besorgt über die Nachrichten aus der Türkei."

Unterdessen ist auch der Süden Griechenlands am Montagmittag von einem Erdbeben der Stärke 4,2 erschüttert worden. Berichte über Verletzte oder Schäden wurden zunächst nicht bekannt. Das Zentrum des Bebens lag in der Nähe der Stadt Patras, wie das Geodynamische Institut in Athen mitteilte.

Autor: Marcus Bölz (rtr, afp, apn)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot