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Im Interview

19. März 2009

Trotz steigender Preise und sinkender Löhne genießt die Staatsmacht in Russland bei der Bevölkerung weiter Unterstützung. Die Deutsche Welle sprach mit dem Oppositionellen Wladimir Ryschkow.

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Wladimir RyschkowBild: AP

Deutsche Welle: Präsident Dmitrij Medwedjew hat in einem Fernsehinterview verlangt, die Gesetze zur Korruptionsbekämpfung umzusetzen. Er wolle als Beispiel vorangehen und jedes Jahr seine Einkünfte offen legen. Wie bewerten Sie diese Erklärung?

Wladimir Ryschkow: Es ist sehr schön, dass Präsident Medwedjew bei sich anfangen will. Aber es stellt sich die Frage, ob ihm andere folgen werden: die mächtigen und reichen Klane des Kreml und die, die ihm und der Regierung nahe stehen. Denn sie haben in den vergangenen acht Jahren gigantische Vermögen angehäuft. Sie kontrollieren weiterhin die Finanzflüsse der größten russischen Monopole, beispielsweise über Offshore-Firmen in der Schweiz. Es hängt nicht von Medwedjew selbst ab, sondern es ist die Frage, ob er das Klansystem, das in den letzten Jahren entstanden ist und in dem Korruption von oben bis unten herrscht, ins Wanken bringen kann. Ich bezweifle dies.

Seinen jüngsten öffentlichen Auftritten nach zu urteilen, nimmt Medwedjew immer mehr die Präsidenten-Rolle an. Inwieweit hat sich Medwedjew im Vergleich zum vergangenen Jahr verändert?

Stilistische Veränderungen bedeuten noch nicht, dass sich wirklich etwas verändert hat. Das Jahr, das seit seiner Wahl vergangen ist, hat gezeigt, dass alle wichtigen Hebel der Macht weiterhin in Wladimir Putins Hand liegen. Die gesamte Staatsführung, darunter die Leiter der Ministerien, Behörden, Sicherheitsorgane, der Regionen, des Parlaments, der größten Unternehmen und Gesellschaften sind alle von Putin aufgestellt worden. Diese Leute orientieren sich weiterhin an ihm. Putin ist Premier, aber auch Chef einer Partei, die über eine Verfassungsmehrheit in beiden Parlamentskammern verfügt. Er ist Chef einer Partei, der so gut wie alle Gouverneure und Bürgermeister des Landes angehören, einer Partei, die in den meisten Regionalparlamenten vertreten ist.

Die Wirtschaftskrise in Russland verschärft sich, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Produktion geht zurück. Ist in Russland vor diesem Hintergrund eine politische Krise zu erwarten?

Russland ist ein interessantes Phänomen. Die Finanzkrise begann im September 2008, schon im November-Dezember setzte die Wirtschaftskrise sein: Seitdem geht die Produktion zurück. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Warenverkehr stockt, Baustellen liegen still. Aber es ist seltsam, dass seit über vier Monaten die Wirtschaftskrise noch zu keiner sozialen Unruhe geführt hat. Trotz steigender Preise und fallender Reallöhne ist die Unterstützung für die Staatsmacht den Umfragen zufolge hoch. Das bedeutet, dass die Staatsmacht ziemlich effektiv vorgeht, Kritik und Unzufriedenheit eindämmt, indem sie rechtzeitig in gefährliche Situationen eingreift. Aber alles wird davon abhängen, wie sich die Krise weiter entwickelt. Wenn wir den Tiefpunkt der Krise schrittweise erreichen, wenn die Nachfrage nach russischen Rohstoffen schrittweise wieder steigen wird, denn sie sind fast das einzige, was wir produzieren, und wenn es gelingt, die Einnahmen zum Staatshaushalt zu stabilisieren, dann wird es zu keiner sozialen Krise kommen. Dann bleibt es bei der Finanz- und Wirtschaftskrise und danach wird eine Erholung einsetzen. Aber wenn die Krise anderthalb Jahre andauern wird, dann muss man damit rechnen, dass aus der Wirtschaftskrise eine soziale wird und aus der sozialen eine politische Krise.

Sergej Morosow/Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann