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Linke mit Erfolgserlebnis

Das Interview führte Christian Gies28. Januar 2008

Während sich in Hessen SPD und CDU über das Unentschieden ärgern, kann sich eine Partei über einen klaren Sieg freuen: die Linke. Politikwissenschaftler Nils Diederich analysiert den Ausgang der Landtagswahlen.

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Jubel bei dem Spitzenkandidaten der Linken in Hessen: Willi van Ooyen
Jubel bei dem Spitzenkandidaten der Linken in Hessen: Willi van OoyenBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD: Die Linke ist sowohl in Niedersachsen als auch in Hessen über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen und damit in beide Landesregierungen eingezogen. Wie sind die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen zu interpretieren?

Nils Diederich: Das Wahlergebnis ist ein Indikator dafür, dass die Linke beginnt, sich auch im Westen Deutschlands zu etablieren und eine feste Anhängerschaft mobilisieren kann. Ob das nur von vorübergehender oder dauerhafter Natur ist, wird man bis zu den nächsten Wahlen respektive bis zur Bundestagswahl abschätzen können.

Einen Schluss von diesen Ergebnissen auf die Stimmung für die anstehende Bundestagswahl zu ziehen, ist meiner Meinung nach aber schwierig, das zeigen die Unterschiede in den Ergebnissen in Hessen und Niedersachsen. Was uns Herr Koch vor Augen geführt hat, ist, dass nicht jedes demagogische Mittel zum Erfolg führt. Die Wähler in Deutschland sind offenkundig relativ reif, sie entscheiden von Fall zu Fall und sind durch Angstparolen nicht zu mobilisieren. Im Gegenteil: Offenbar hat Herr Koch eigene Wähler verscheucht. Das zeigt ja auch die Wählerbewegung hin zur FDP. Sicherlich haben bürgerliche Wähler den Stil von Koch nicht gemocht, wollten aber bürgerlich wählen und sind dann letztlich bei der FDP verblieben.

Hat die Linken auch von den brutalen Wahlkampfparolen des Herrn Koch profitiert?

Das Erstaunliche ist, dass die Polarisierung zwischen Ypsilanti und Koch nicht dazu geführt hat, dass sich die Stimmen alle auf die SPD konzentriert haben. Das heißt, die Linke mobilisiert offenbar eine eigene Wählerschaft, die sehr deutlich gegen Koch ist, aber in der SPD nicht die hinreichende Alternative sieht. Insofern kann man sagen, dass die Linken von Koch profitiert haben. Einen noch größerern Nutzen hatten sie davon, dass die SPD nicht allen Wählern wieder glaubwürdig erscheint, so dass einige Wähler sich den Linken zuwenden.

Derzeit ist die Linke in neun Landtagen vertreten. Wird sich der Erfolg fortsetzen?

Die Spitzenkandidatin der Linken, Kreszentia Flauger, freut sich über den Einzug ihrer Partei in den Landtag von Niedersachsen, Quelle: dpa (27.01.2008)
Die Spitzenkandidatin der Linken, Kreszentia Flauger, ist im Landtag von NiedersachsenBild: picture-alliance/ dpa

Das Ergebnis ist zweifellos bemerkenswert für die Parteienlandschaft - auch auf europäischer Ebene, aber man soll das Ergebnis auch nicht überschätzen. Denn wir wissen ja noch nichts über die Stabilität der Wählerschaft, das wird sich noch herausstellen müssen. Insgesamt ist es durchaus bemerkenswert, dass sich das Parteienspektrum in Deutschland weiterhin ausdifferenziert.

Haben die Wahlen in Hessen und Niedersachsen Auswirkungen auf die nächste Landtagswahl in Hamburg am 24. Februar?

Ich bin da sehr skeptisch, weil die Ergebnisse sehr landesspezifisch sind. Die Auswirkungen von Sonntag werden sich mehr auf die Frage beziehen, ob die Verantwortungsträger und Funktionäre in den beteiligten Parteien, vor allem bei SPD und CDU, dazulernen und ihre Taktik ändern. Sicherlich wird Herr von Beust nicht den Fehler begehen, einen ähnlichen Ton anzuschlagen wie es Herr Koch getan hat, sondern wird eher versuchen, eine sanfte Linie zu fahren, die auf die Mitte zielt, wie es Herr Wulff getan hat. Auf die Art der Auseinandersetzung wirkt sich das schon aus, die Wähler entscheiden derzeit aber sehr stark nach landespolitischen Aspekten.

Hat die Linke Chancen auf einen Einzug in den Landtag von Hamburg?

Da bin ich mir nicht so sicher. Für solche Wähler kann es natürlich eine Ermunterung sein, die Linke zu wählen, die sagen: 'Ich möchte meine Stimme nicht gerne an eine Partei verschenken, bei der nicht sicher ist, ob sie in den Landtag einzieht.' Das könnte am Rande der SPD-Wählerschaft einige ermuntern, die Linke ganz bewusst zu wählen, um insgesamt das linke Spektrum zu erweitern. Es wäre denkbar, dass das einen Auftrieb für die Linke gibt. Der Auftrieb der Linken liegt vor allem in der Motivation ihrer Anhänger, die jetzt merken, dass die Linke aus der Ecke der Kleinstparteien herauskommt, und sich im Westen anfängt zu etablieren. Es kann also zu Mobilisierungseffekten kommen.

Einige Medien vermeldeten, dass Kochs Pleite in Hessen einer Niederlage von Bundeskanzlerin Angela Merkel gleichzusetzen sei, weil sie Koch im Wahlkampf unterstützt hat. Sehen Sie das genauso?

Das ist natürlich eine sehr starke Zuspitzung. Merkel hat sich pflichtgemäß hinter Koch im Wahlkampf gestellt. Aber im Grunde genommen ist das negative Ergebnis für Koch und die Bestätigung der Linie Wulff, eher eine Bestätigung für die Linie der Bundeskanzlerin. Sie geht - ganz im Gegenteil zu manch anderer Meinung - vielleicht sogar gestärkt innerhalb ihrer Partei heraus, nämlich dass ihr eingeschlagener Kurs erfolgsversprechender für künftige Wahlen ist - auf auch Bundesebene.

Also ist Merkels Macht nicht bedroht?

Ministerpräsident Wulff (CDU) hebt die Arme zum Zeichen seines Wahlsiegs in Niedersachsen, Quelle: AP (27.01.2008)
So sehen Sieger aus: Christian Wulff (CDU) verteidigt sein Amt als MinisterpräsidentBild: AP

Ich sehe sie überhaupt nicht in Gefahr. Beide Koalitionspartner betonen, dass sie die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode durchführen wollen und beide betonen, dass sie danach tunlichst auseinander gehen wollen. Das Ergebnis von Sonntag dient dazu, sich neu zu sortieren und neu aufzustellen. Und man darf auch nicht das Ergebnis der FDP vergessen.

Für sie ist es eine Ermunterung, alles dafür zu tun, dass es nach der nächsten Bundestagswahl zu einer schwarz-gelben Koalition kommt. Die FDP ist durchaus gestärkt und stabilisiert aus den Wahlen hervorgegangen. Ganz im Gegensatz zu den Grünen, die nicht verloren haben, aber auch nicht zugelegt haben. Die Ergebnisse dienen vor allen Dingen der Neusortierung der Parteienlandschaft oder - militärisch ausgedrückt - zur Neuaufstellung der Truppen für die nächste große Auseinandersetzung.

Nils Diederich (73) ist Professor für Politikwissenschaft und hat am Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin gelehrt. Die Forschungsschwerpunkte des emeritierten Wissenschaftlers sind Wahlforschung, Innenpolitik und politische Systeme.