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DFB-Team: Das Spiel mit der Psyche

13. September 2023

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sendet gegen Frankreich ein Lebenszeichen und zeigt eine ermutigende Leistung. Vor allem für die mentale Verfassung könnte der Erfolg positive Folgen haben.

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Nationalspieler Thomas Müller ballt die Faust und schreit seine Freude über den Führungstreffer gegen Frankreich heraus
Nationalspieler Thomas Müller erzielt den Führungstreffer gegen Vizeweltmeister FrankreichBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Das Dortmunder Stadion gab alles: Laute Anfeuerungsrufe und Beifall begleiteten die ersten Minuten des wichtigen Spiels der Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich. Immer wieder peitschten die Zuschauer die Mannschaft von Teamchef Rudi Völler nach vorne. Und die Nationalspieler auf dem Rasen ließen sich anstecken. Sie rannten, grätschten und zeigten vollen Einsatz, der nach nur vier Minuten durch Thomas Müller in der deutschen Führung mündete. "In der Psychologie nennen wir das 'social contagion', also die soziale Ansteckung zwischen zwei Personen oder Gruppen", sagt Jens Kleinert vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln der DW.

Mit anderen Worten: Der Funke ist von den Rängen auf die Spieler übergesprungen. "Das ist wirklich Balsam für die Seele", sagte Torwart Marc-Andre ter Stegen nach dem 2:1-Sieg gegen Frankreich sichtlich erfreut. "Am Ende sind wir happy, dass wir das Spiel erfolgreich bestreiten konnten. Ich bin wirklich happy über die Art und Weise, wie wir das heute getan haben."

Mit den Zuschauern im Rücken und einer positiven Einstellung sendet die Nationalmannschaft kleine, aber wichtige Lebenszeichen - und dass gegen den Vizeweltmeister." So macht es natürlich Spaß, wenn du gegen Frankreich gewinnst", ergänzte Müller.

Kleinert: "Freude, Lust und Spaß sind der Motor für den Kopf"

Es war zwar erst der zweite Sieg in diesem Jahr, dennoch war es ein besonderer Erfolg, denn damit durchbrach die DFB-Elf die Negativspirale, in der das Team seit Monaten steckt. "Das tut einfach gut. Selbst wenn wir noch Unentschieden gespielt hätten - es ging eigentlich gar nicht so sehr um das Ergebnis, sondern um die Art und Weise, wie wir gekämpft und mit Leidenschaft gespielt haben", sagt Rudi Völler und betonte: "Das war schon wichtig."

Seitdem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland 2018 muss das Team immer wieder Rückschläge einstecken: Es folgten das Scheitern bei der EM 2020 im Achtelfinale gegen England, und das dramatische Ausscheiden bei der Wüsten-WM in Katar im vergangenen Jahr. Dazu kommen zahlreiche Rückschläge in der Nations League, aber auch in Testspielen.

"Oft reichen schon einige verlorene Spiele hintereinander und Misserfolgserlebnisse, um sich in den Köpfen der Spieler festzusetzen", erklärt Sportwissenschaftler Kleinert. Das könne nur umgedreht werden, wenn die Spieler Erfolgserlebnisse vor Augen haben. "Wenn ich glaube, ich kann das nächste Spiel gewinnen, dann habe ich auch Lust auf die Partie. Und Lust auf das Spiel ist wichtig, um zu gewinnen. Freude, Lust und Spaß sind der Motor für den Kopf."

Gündogan: "Wir waren mal eine Weltklasse-Mannschaft"

Genau daran haperte es den Spielern der Nationalmannschaft in den letzten Wochen. Statt sich mit Spaß und einer gewissen Freude wieder mit Erfolgserlebnissen zurück zu kämpfen, wirkten Kapitän Ilkay Gündogan und viele seiner Teamkollegen eher gehemmt, unsicher, aber vor allem ohne Vertrauen in die eigene Stärke. "Wir waren mal eine Weltklasse-Mannschaft", erklärte der Mittelfeldspieler. "Wir haben zwar Weltklasse-Spieler in unseren Reihen, aber wir bringen es beim DFB nicht auf den Platz. Wir brauchen Vertrauen - auf und abseits des Platzes. Die vielen Fehler in den letzten Monaten dürfen wir nicht weiter so hinnehmen."

Gemeinsam, so Gündogan, müsse man sich gegen die negative Entwicklung stemmen. Gegen Frankreich ging vor allem der 32-Jährige mit guter Einstellung voran. Erst verliert er zwar den Ball beim Spielaufbau, eroberte diesen aber postwenden zurück und leitete so die Führung gegen den Vizeweltmeister ein.

Es fehlt die letzte Überzeugung

"Eine Mannschaft muss sich stark fühlen. Und vor allem muss ein Team hohes Vertrauen zu den Mitspielern haben. Zudem muss jeder hohe Anerkennung für das aufbringen, was die Mitspieler auf dem Platz machen und können," sagt Kleinert: "Und diese Anerkennung und Lust mit den anderen zu spielen, die fehlte vielleicht zuletzt ein bisschen."

Emotionaler Jubel der deutschen Nationalspieler nach dem Sieg gegen Vizeweltmeister Frankreich
Durch den erst zweiten Sieg in diesem Jahr sendet die DFB-Elf ein LebenszeichenBild: David Inderlied/dpa/picture alliance

Gegen Frankreich dagegen zeigte das DFB-Team nach Monaten wieder ein anderes Gesicht. Vor allem in der ersten Halbzeit wurde deutlich, wie der Turnaround endlich klappen könnte. Immer wieder motivierten sich die deutschen Spieler gegenseitig, kämpften um jeden Ball und bügelten oftmals Fehler der Mitspieler aus. Monate zuvor sah das noch ganz anders aus - und ließen die Spieler und Verantwortlichen oft ratlos zurück.

"Wir denken vielleicht, dass wir besser sind, als wir sind", sagte Gündogan nach der Niederlage gegen Japan am vergangenen Samstag. Genau diese Selbstzweifel begleiten die Nationalmannschaft nun schon seit mehreren Jahren. Über die Arbeit im Training und kleine Erfolge müsse wieder Vertrauen für das gemeinsame Spiel, die gemeinsamen Pässe und die gemeinsame Taktik aufgebaut werden, sagt Kleinert. "In der Sportpsychologie nennen wir das 'Teamwirksamkeit', also alle müssen an die Wirksamkeit des Teams glauben." Man habe versucht, sich im Training auf die einfach Dinge zu konzentrieren und der Mannschaft Vertrauen zu geben", sagte Ter Stegen.

Erfolgreiche Heim-EM möglich

Genau dies dürfte - nach der Entlassung von Hansi Flick - zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben des neuen Bundestrainers - den der DFB in den kommenden Wochen bekannt geben möchte - gehören. Die individuelle Qualität der meisten Spieler ist unbestritten, die Funktionalität des Teams dagegen hat in den vergangenen Monaten und Jahren stark gelitten. Das Ziel des DFB ist klar: ein guter Auftritt bei der Europameisterschaft im eigenen Land im kommenden Jahr.

Verteidiger Jonathan Tah im Zweikampf mit Frankreichs Theo Hernandez (r.)
Gegen den Vizeweltmeister zeigt die DFB-Elf eine kämpferische Leistung und belohnt sich mit einem SiegBild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Der Druck, im eigenen Land erneut zu Versagen und früh aus dem Turnier auszuscheiden, könnte dabei aber nicht größer sein. "Eine Heim-EM kann auch blockieren, wenn sie negativ gesehen wird", erklärt Kleinert. "Negative Gedanken wie: 'Oh Gott, wie soll das denn bei der EM werden, wenn wir jetzt schon so schlecht sind', sind völlig fehl am Platze. Und wenn diese Gedanken wirklich in den Köpfen der Spieler sind, dann müssen die natürlich gedreht werden. Man ist in der Lage, mit der richtigen Unterstützung, diese Gedanken in etwas Positives zu drehen."