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Der Filmemacher Christian Petzold

Bernd Sobolla6. November 2005

Geschichten von einsamen Menschen haben ihn bekannt gemacht und für reichlich Lorbeeren gesorgt. Er hat einen neuen Blick auf Desillusion und Tristesse gezeigt. Es lebe der Realismus.

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Im Februar 2005 in BerlinBild: AP

Christian Petzold gehört zu den wichtigsten Regisseuren in Deutschland. Mit "Die innere Sicherheit" gewann er 2001 den Bundesfilmpreis. Filme wie "Toter Mann" und "Wolfsburg", die er danach drehte, wurden ebenfalls von den Kritikern gefeiert. 2005 gelang ihm mit dem Film "Gespenster" gar der Sprung in den Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Auffallend bei all seinen Filmen sind die knappen Dialoge, die Einsamkeit der Protagonisten und die Reduktion auf wenige, in der Regel nur zwei oder drei Personen.

Was ihn antreibt

"Die vom Gartenbauamt haben angerufen. Nina! Ich kann dich hier nicht mehr halten. Ich habe auch ehrlich gesagt keine Lust mehr dazu. Es kotzt mich an. Warum wirfst du das alle so weg?" Nina hängt perspektivlos in einem Heim herum oder sammelt Müll im Tiergarten. Damit reiht sich die Protagonistin aus "Gespenster", dem jüngsten Film Petzolds, nahtlos ein in die Filmwelt des Regisseurs: Menschen, die desillusioniert sind, aneinander vorbeireden, sich selbst oder die anderen anlügen, das sind seine Figuren. Und die Ziele, nach denen Petzold seine Protagonisten suchen lässt, erreichen sie fast nie. "Ich glaube, dass Menschen, die in irgendeiner Weise kriminell sind, und das sind alle Protagonisten in den Filmen, oder falsche Existenzen oder falsche Identitäten haben, natürlich lügen. Aber in diesen Lügen teilen sie unendlich viel von ihren Sehnsüchten mit." Das sei es, was ihn interessiert.

Das legendäre Filmbuch

Geboren wurde Christian Petzold in Hahn, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, in der absolut nichts los war. Ein großes Erlebnis war es für ihn, als seine Mutter von einem Bücherclub das Filmbuch über Alfred Hitchcock von François Truffaut ungewollt zugeschickt bekam. Eine prägende Lektüre, eine Art filmische Initiation für den heute 45-Jährigen. Danach absolvierte er seinen Zivildienst, während dessen er einen Filmclub leitete und erste Rezensionen für eine Filmzeitung schrieb.

Es folgte ein Literaturstudium in Berlin, das er größtenteils im Kino verbrachte. Das Filminteresse war zwar schon damals vorhanden. "Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass man mit 22, 23 noch keine Filme machen kann. Also ich nicht. Andere können das vielleicht."

Schließlich studierte Christian Petzold an der "Deutschen Film- und Fernsehakademie" in Berlin, wo er seither lebt. Seit Mitte der 1990er Jahre schickt der Filmemacher nun seine Protagonisten auf Reisen, beziehungsweise er lässt sie heimatlos durchs Leben driften. Das gilt auch für "Die innere Sicherheit", mit dem Petzold nach fünf TV-Filmen seinen ersten Kinofilm drehte, der zugleich seinen Durchbruch markierte.

Das Werk handelt von einem Mädchen, dessen Eltern als Ex-Terroristen immer auf der Flucht sind. "Ich glaube, Lagos ist gut. Es ist eine Stadt in der Nähe. Drumherum Tourismus mit typischen Aussteigern, Kiffern, Rumhängern, Pauschaltouristen. Hier ist das Appartement, drei Zufahrtsstraßen, Tiefgarage und große Fluktuation. Das ist perfekt. Wann? Am Sonntag. Warum müssen wir eigentlich schon wieder umziehen?"

Kontrast und Kontinuität

Gerne besetzt Christian Petzold seine Schauspieler gegen ihr Image. So spielt Benno Fürmann, der meist als charismatischer Sieger agiert, in dem Drama "Wolfsburg" einen von Selbstvorwürfen geplagten Unfallverursacher, und Andre Hennicke, sonst fast immer ein Krimineller, wurde in "Toter Mann" zum zärtlichen, verantwortungsvollen Anwalt. "Ich hatte ja auch gedacht, als ich das Buch von ihm bekam, das ist ein Irrtum. Weil ich im allgemeinen Rollen angeboten bekomme, wo die Leute das mit Waffengewalt klären."

Berlinale Film Gespenster
Nina und Toni aus "Gespenster"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Bei seiner Arbeit setzt Christian Petzold auf Kontinuität. Fast immer arbeitet er mit dem Kameramann Hanns Fromm zusammen, mit der Cutterin Bettina Böhler und Harun Farocki als Berater. Das gilt auch für seinen neuesten Film: "Gespenster" handelt von Nina und Toni, zwei jugendlichen Frauen auf ihrem Selbstfindungstripp durch Berlin und der etwa 40-jährigen Francois, die Nina für ihre einst entführte Tochter hält. Eine melancholische Geschichte, in der die Musik wie immer eine tragende Rolle spielt. "Songs erzählen immer was von einem Nachbeben. Das ist das eine. Und das andere war, dass ich das Kino als einen Ort wahrgenommen habe, der die Einsamen aufliest und einen mit erfüllter Einsamkeit weiter durchs Leben schickt. Diesen körperlichen Zustand, nämlich in so einem Halbtraumbereich zu sein, der hat mir immer gefallen."