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PolitikAsien

Der Fall Moore-Gilbert und Irans Geiseldiplomatie

Shabnam von Hein | Kersten Knipp
27. November 2020

Die Freilassung der Australierin Moore-Gilbert wirft ein Schlaglicht auf Irans Geiseldiplomatie mit verurteilten Ausländern und Doppelstaatlern, die oft wegen dubioser Spionagevorwürfe verhaftet werden.

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Australien - Iran | Kylie Moore-Gilberts Freilassung
Bild: Iranian State Television/AP Photo/picture alliance

Der australische Premier Scott Morrison gebrauchte ein großes Wort: Ein "Wunder" sei die Freilassung der Islamwissenschaftlerin Kylie Moore-Gilbert, erklärte er kurz nach deren Ankunft in Australien. Über 800 Tage hatte die im September 2018 verhaftete Forscherin in iranischen Gefängnissen verbracht. Ein Gericht in Teheran hatte sie der Spionage für schuldig befunden. Moore-Gilbert hatte die Beschuldigung immer wieder als unwahr bezeichnet.

Das Wort vom "Wunder" sollte offenbar Informationen über die Verhandlungen ersetzen, die schließlich zur Freilassung Moore-Gilberts geführt hatten. Über sie wollte sich der australische Premier öffentlich ebenso wenig äußern wie über die Freilassung dreier in Thailand verurteilter Iraner. Diese hatte offenbar dazu geführt, dass Moore-Gilbert nun zurück nach Australien reisen konnte.

"Wenn andere Personen an anderen Orten freigelassen wurden, sind das Entscheidungen der jeweiligen souveränen Regierung", kommentierte Morrison die Entwicklung. "Es gibt keine in Australien festgehaltenen Personen, die freigelassen wurden", fügte er hinzu. Den Eindruck, die Freilassung Moore-Gilberts gehe auf einen Gefangenenaustausch zurück, wollte er offenbar unbedingt vermeiden.

Gescheiterte Attentäter zurück in Teheran

Doch ein solcher scheint die Freilassung Moore-Gilberts ermöglicht zu haben. "Diplomatische Quellen" hätten bestätigt, dass die Freilassung der drei Iraner durch die thailändischen Behörden Teil des Abkommens gewesen sei, berichtete der "Sydney Morning Herald" am Freitag.

Informationen der Zeitung zufolge hatten Australien und Iran über ein halbes Jahr lang verhandelt, um sich über die Modalitäten eines Gefangenenaustauschs einig zu werden. Eingebunden war demnach auch die thailändische Regierung.

Das iranische Staatsfernsehen zeigt die drei Staatsbürger bei ihrer Ankunft am Teheraner Flughafen. Bei diesen handele es sich um "ökonomische Aktivisten". Fotos zeigen die drei bei ihrer Ankunft am Flughafen Teheran. Alle drei hatten sich iranische Nationalflaggen um die Schultern gelegt. Schwarze Baseballkappen sowie Atemmasken machten es schwierig, sie auf den ersten Blick zu identifizieren. Einer der drei Männer sitzt im Rollstuhl. Ihm fehlen beide Beine. Die drei wurden am Flughafen vom stellvertretenden iranischen Außenminister Abbas Araghchi begrüßt.

Stellungnahmen thailändischer Behörden zufolge waren die drei jetzt in Teheran eingetroffenen Männer nach einem Autobombenattentat in Bangkok im Jahr 2012 verhaftet worden. Bei den Vorbereitungen zu dem Attentat war es in dem von den drei Männern gemieteten Haus zu einer Explosion gekommen. Sie riss einem der drei dem Vernehmen nach die Beine ab.

Versuchter Anschlag auf israelische Diplomaten

Israelischen und thailändischen Behörden zufolge hatten die drei Iraner einen Bombenanschlag auf israelische Diplomaten geplant. Zwei der Männer, Saeid Moradi und Mohammad Kharzei, wurden 2013 in Thailand verurteilt. Moradi erhielt wegen versuchten Mordes an einem Polizisten eine lebenslange Haftstrafe, während Kharzei wegen Sprengstoffbesitzes zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Der dritte Verdächtige, Masoud Sedaghatzadeh, wurde in Malaysia festgenommen. 2017 ordnete das dortige Bundesgericht seine Auslieferung nach Thailand an.

Der stellvertretende thailändische Generalstaatsanwalt Chatchom Akapin erklärte, die Behörden seines Landes hätten die Überstellung der Gefangenen im Rahmen eines Abkommens mit dem Iran genehmigt.

"Geiseldiplomatie durch den Iran"

"Was die australische Außenministerin euphemistisch als 'diplomatisches Engagement' bezeichnet, ist zweifellos der bedauernswerte Einsatz der Geiseldiplomatie durch den Iran", sagte Elaine Pearson, Direktorin von Human Rights Watch Australia, in einer Pressemitteilung.

"Es gibt ein klares Muster der iranischen Regierung, ausländische Staatsangehörige und solche mit doppelter Staatsbürgerschaft willkürlich festzuhalten, um sie als Verhandlungsmasse gegenüber anderen Staaten einzusetzen."

Nach dem Austausch könnten nun auch andere vom Iran verhaftete ausländische Gefangene hoffen, erklärte in einem Tweet die New York Times-Journalistin Farnaz Fassihi.

Vor allem Doppelstaatler im Visier

Der Iran ist bereits seit längerem dazu übergegangen, ausländische Bürger auf Grundlage fragwürdiger Spionagevorwürfe zu verhaften und sie anschließend gegen seine im Ausland inhaftierten Agenten auszutauschen. So wurde 2010 die Französin Clotilde Reiss nach monatelangen Verhandlungen zwischen Paris und Teheran freigelassen.

Die 24-jährige Studentin saß wegen angeblicher Agitation und Spionage zehn Monate lange in Teheran im Gefängnis. Nur zwei Tage danach stimmte ein französisches Gericht der Haftentlassung von Ali Vakili Rad zu, nachdem das Innenministerium grünes Licht für seine Ausweisung in den Iran gegeben hatte. Rad war 1994 wegen der Ermordung des ehemaligen iranischen Premiers Schapur Bachtiar in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Frankreich I Clotilde Reiss kehrt zurück nach Paris
Clotilde Reiss kurz nach ihrer Freilassung in Paris (2009)Bild: picture alliance / dpa

Vor allem Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft werden Opfer politischer Geiselnahme. Der bekannteste Fall ist der des Journalisten der "Washington Post", Jason Rezaian.

Er saß wegen angeblicher Spionage mehr als 500 Tage in einem iranischen Gefängnis, die meiste Zeit davon in Einzelhaft. Rezaian und drei weitere Amerikaner wurden 2016 im Zuge eines Gefangenenaustausches zwischen den USA und Iran freigelassenen. Die USA ließen im Gegenzug insgesamt sieben iranische Häftlinge frei.

Warnung des Auswärtigen Amts

Anfang November sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour im DW-Interview, die Bundesrepublik Deutschland stehe "offenbar zunehmend im Fadenkreuz des Iran".

"Der Staat hält politische Geiseln als Faustpfand, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben. So wie es die iranische Staatsführung schon vielfach mit Landsleuten mit doppelter Staatsangehörigkeit getan hat", so Nouripour.

Das deutsche Auswärtige Amt warnt seit Mitte November auf seiner Webseite: "Von nicht notwendigen Reisen von Personen, die auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, wird dringend abgeraten. In der Vergangenheit kam es mehrfach und oft ohne nachvollziehbare Gründe, zuletzt im Oktober 2020, zur Verhaftung deutsch deutsch-iranischer Doppelstaater."

Weiter heißt es: "Iranische Behörden behandeln Personen, die neben der deutschen auch im Besitz der iranischen Staatsangehörigkeit sind, in allen Rechtsfragen wie Personen mit ausschließlich iranischer Staatsangehörigkeit. Weitere Inhaftierungen von Personen, die auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, können nicht ausgeschlossen werden."

Momentan sitzen mindestens vier Deutsche mit gleichzeitig iranischer Staatsangehörigkeit in iranischen Gefängnissen. Als jüngster Fall wurde Mitte Oktober dieses Jahres die 66-jährige Kölner Architektin Nahid Taghavi in ihrer Wohnung in Teheran verhaftet.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika