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Der Anachronist

14. September 2006

Der gefeierte Maler Neo Rauch über die Macht der Bilder, den Kunstmarkt und Leipzig. Das große KULTUR.21-Interview zur Kunstsaison 2006/2007.

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Der Maler Neo RauchBild: dpa

Neo Rauch hat sich mit einer fulminanten Einzelausstellung zurückgemeldet: In zwölf meist großformatigen Ölgemälden widmet sich Rauch, einer der bedeutendsten Gegenwartsmaler, dem Thema "Zeitraum".

Zur Eröffnung in seiner Leipziger Galerie EIGEN + ART kamen tausende Besucher.

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Bild: DW-TV

Staunend blieben sie vor den teils riesigen Bildern stehen, auf denen der 46-jährige Maler rätselhafte Traumwelten voller dunkler Andeutungen inszeniert.

«Auf alle Arbeiten gibt es mehrere Interessenten, sowohl von Museen als auch Einzelsammlern», sagt Rauchs Galerist Judy Lybke.

Seit 10. November ist sein Gesamtwerk in einer großen Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.

DW-TV Kulturchef Rainer Traube hat Neo Rauch - seit 2005 auch Professor der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – in Leipzig zu einem Gespräch getroffen.

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Bild: DW-TV

DW-TV: Ist der Maler Neo Rauch ein Geschichtenerzähler?

Neo Rauch: Ja, natürlich. Ich fühle mich als Erzähler. Die Bilder sind offenkundig erzählerisch strukturiert und für mich ist eigentlich alles klar. Für mich ist alles klar, wenn ich vor meinen Bildern stehe. Ich frage mich sogar mitunter: "Ist das nicht eine Spur zu deutlich? Sollte ich nicht ein paar Zentimeter weiter zurückkriechen ins Schneckenhaus?" Und dann rufen mich Reaktionen wie die Ihre immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Offenbar scheint es doch schwer lesbar zu sein, was ich da elaboriere. Aber ich denke, es ist interpretierbar - bis auf den mindestnotwendigen Restbestand an Unbenennbarem, das jedes Bild und überhaupt jedes Kunstwerk braucht, um in diesen Rang eintreten zu können.

Sie möchten also durchaus entschlüsselt werden?

Ja, weil ich eben nicht die Fortsetzung der Tagesschau mit anderen Mitteln fabrizieren möchte. Ich möchte keinen Journalismus betreiben und ich möchte auch kein Märchenonkel sein.

Sie haben den Akt des Malens einmal so beschrieben: "Ich stehe vor der Leinwand wie vor einer Nebelbank". Was passiert dann?

Ja, zum Teil verhält es sich tatsächlich so: Instrument einer anderen Sache. So, als würde etwas durch mich hindurchgehen. Ich atme ja eben auch auf meine Weise die Welt durch mich hindurch. Sie mündet dann in die Pinselspitze und kommt also in transformierter Form wieder zum Vorschein. Aber das ist eben kein Allerweltsvorgang. Vielleicht kann man es mit so einer Art Schachspiel gegen sich selbst vergleichen. Die Ausgangslage ist verhältnismäßig überschaubar. Vorher kann es nicht beginnen. Also, ich muss die Aufstellung der einzelnen Positionen schon weitestgehend klären. Ich muss wissen, wie die Grundkonstellation beschaffen ist. Und sobald das klar ist, kann ich anfangen. Und dann bin ich eigentlich nur noch Maler. Dann agiere ich nur noch als somnambul handelnder Regisseur in meinem privaten Theater. Wie unter Drogen stehend, vielleicht.

Ihre Bilder sind bevölkert von männlichen Figuren...

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Bild: DW-TV

Oh, ich habe mich aber redlich bemüht, die Frauenquote ein bisschen in die Höhe zu treiben. Ich bin natürlich in meiner Geschlechtlichkeit zu Hause. Ich kenne die Ängste, Lächerlichkeiten, Sorgen und Nöte meiner Geschlechtsgenossen natürlich aus aller erster Hand. Insofern sind es durch die Bank natürlich auch Selbstporträts. Frauen treten eigentlich immer nur aus kontrapunktischen Gründen auf. Als Heilerinnen, als Wissende, als Göttinnen, als Engel.

Vor allem Amerikaner empfinden Ihre Bilder als sehr deutsch.

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Bild: DW-TV

Ich habe erlebt, dass mich amerikanische Galeristen fragten: Was ist eigentlich los bei euch? Ihr versucht alle so amerikanisch zu sein...das haben wir doch hier selbst! Dieses Bestreben, Anschluss zu finden, kosmopolitisch in Erscheinung zu treten: das hat natürlich auch zu einer gewissen Allerweltskunst geführt. Ich habe nun keineswegs versucht, dem irgendwie bewusst etwas entgegenzusetzen. Ich habe einfach nur weitergemacht und plötzlich werde ich in einer Weise wahrgenommen, die sich abhebt von den Anschlussbemühungen anderer.

"Pop-Art mit ostdeutschen Akzent", hat ein US-Kritiker das genannt.

Das sagen die doch bloß, weil sie wissen, dass ich im Osten geboren wurde. Wären die Bilder in Belgien entstanden oder in London, käme keiner auf die Idee, Ihnen dieses Prädikat anzuheften. Das sagen doch nur Leute, die denken, ich könne mich aus dieser Verstrickung nicht lösen, die da in all den quälenden Jahrzehnten über mich kam. Ich kann das immer nur zurückweisen.

Jedenfalls gelten Sie als Aushängeschild der "Neuen Leipziger Schule"…

Das ist wirklich ein neuralgischer Punkt, weil ich jetzt schon feststelle, dass die ganz Jungen – also meine Schüler – unter dieser Kategorie leiden. Die mittleren Jahrgänge sind dieser Zuweisung schon längst überdrüssig und ich fand sie von vorneherein albern. Es ist natürlich eine griffig, stromlinienförmige Verpackung, die von außen über das Phänomen gestreift wurde.
Das einzige, was die Positionen miteinander verbindet, ist die Solidität des Malerischen.

Interessiert Sie der Kunstmarktboom, die Gespräche über Stars, Messen und Preise?

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Bild: DW-TV

Ich versuche, das aus meiner Lebenswirklichkeit herauszuhalten. Dass es sich hierbei um eine hochtourig überhitzt laufende Maschinerie handelt, ist offenkundig. Das Platzen der Blase, auf das Freund und Feind ängstlich und lustvoll warten, kann sich noch eine Weile hinauszögern. Wir haben ja eigentlich erfolgreich versucht, das Preisniveau unter Druck zu halten. Es nicht in die Regionen empor schnellen zu lassen, in die es bei anderen Kollegen hinaufgefahren wurde. Mein Ausstoß ist überschaubar: ich schaffe eben nur diese 20 Bilder im Jahr. Schwierig ist es eben nur für den Nachwuchs, für den künstlerischen Nachwuchs. Wer als noch-nicht-mal-Absolvent schon atemberaubende Preise erzielt in New Yorker Galerien, in denen man glaubt, aus diesen Frischlingserzeugnissen dann schon gleich eine ganz große Sau machen zu müssen, der könnte unter Umständen eine schwere Enttäuschung erleben. Wenn das alles wieder talwärts wandert.

Sie reden nicht gerne über die Preise Ihrer Bilder?

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Bild: DW-TV

Dieser kritische Fokus, der richtet sich ja in erster Linie auf die Maler. Das ist schon einigermaßen seltsam. Wo bin ich denn hier mit meinen Preisen? Jetzt rede ich tatsächlich darüber, obwohl es eigentlich auf die Wirtschaftsseite gehört. Ich ekele mich vor diesem Thema. Aber schauen Sie sich Damien Hirst an oder Andreas Gursky, und so weiter. Das ist für niemanden ein Problem. Das ist ein Fakt, der hingenommen wird. Da wird applaudiert, das ist großartig. Aber bei Malern, da muss man dann immer noch mal kritisch nachfragen: Wie kommt das? Wie stehen Sie dazu? Wie kommen Sie damit zurecht?

Hat Malerei in dieser von Bildern ohnehin überfluteten Welt noch eine Macht?

Das hängt natürlich von ihrer Beschaffenheit ab, von ihrer Substanz. Sie kann wie ein Meteorit hineinschlagen in das allgemeine Durcheinander an informativer Überfülle und Opulenz des Miserablen. Sie kann sich aber auch subversiv einfügen in diesen Strom und von unten her quasi Aushöhlungen schaffen, in denen sich dann wieder der Geist entfalten kann. Das ist ja ein Antrieb, immer wieder eine Leinwand aufzustellen: das hervorzubringen, was offenbar kein anderer macht. Sehnsucht nach Bildern, die niemand liefert? Also muss ich's selber machen… Das ist jedenfalls mein Verständnis von Kunst. Sie ist absichtslos, sie entsteht, sie ist ein Naturereignis und kann unmöglich in den Trockenkammern der Zerebralität ausgebrütet werden.
Sehr anachronistisch...