1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

In der Genfer Unterwelt

Anke Hagedorn12. Juni 2007

Was hält die Welt im Innersten zusammen? Dies zu erklären, hat sich das europäische Kernforschungszentrums CERN in Genf zum Ziel gesetzt. Unter anderem mit einem Experiment der Superlative.

https://p.dw.com/p/Aw1P
Länger als die U-Bahn - und auch schneller: die Röhre von GenfBild: pa / dpa

Das Stichwort lautet LHC - eine Abkürzung für Large Hadron Collider. Mit diesem größten Teilchenbeschleuniger aller Zeiten wollen die CERN-Forscher Antworten auf grundlegende Fragen der Physik finden: Wie ist das Universum genau entstanden, woraus besteht es? Rund 10.000 Wissenschaftler aus aller Welt sind an dem Experiment beteiligt. Große Teile der Forschungsanlage stehen bereits. Im Frühjahr 2008 soll der LHC in Betrieb genommen werden.

Die Fahrt über das riesige CERN-Gelände führt zunächst über die Grenze nach Frankreich. Der Teilchenbeschleuniger ist in einer 27 Kilometer langen unterirdischen Ringanlage untergebracht. Mit seiner Hilfe wollen die Physiker des europäischen Kernforschungszentrum CERN quasi die Zeit zurückdrehen: Dank enormer elektrischer und magnetischer Felder sollen Teilchen auf Kollisionskurs gebracht werden. Beim Zusammenprall entstehen dann Bedingungen wie beim Urknall.

Schluckauf oder Nobelpreis?

Dadurch sollen grundlegende Fragen der Physik geklärt werden, so Philippe Lebrun, Leiter der Beschleuniger-Abteilung: "Eine Sache, die wir mit dem LHC nachweisen wollen, ist in diesem Zusammenhang die Existenz des so genannten Higgs-Boson Teilchens, aber das ist nicht das einzige, wonach wir suchen.“

Teilchenbeschleuniger
Der Kern des riesigen Magneten (CMS) im TeilchenbeschleunigerBild: AP

Higgs. Das klingt ein wenig nach Schluckauf, könnte aber den nächsten Physiknobelpreis einbringen. Denn das ist der letzte weiße Fleck im Standardmodell, mit dem sich alle bekannten Phänomene der Teilchenphysik erklären lassen. Grob gesagt ist der Theorie nach das so genannte Higgs-Feld dafür verantwortlich, dass Teilchen eine bestimmte Masse haben, nur konnte es bislang noch nicht nachgewiesen werden.

Extrem starke Magnete

Eingangschacht Nr. 6 - einer der Zugänge des LHC-Tunnels. Mit dem Aufzug geht es rasch in die Tiefe, man spürt kaum die Bewegung. Schacht Nr. PM 65 schärft uns Serge Claudet ein. Er ist für den Einbau der Beschleunigerkomponenten in diesem Tunnelbereich zuständig. Der Hinweis ist wichtig - für den Fall, dass jemand verloren gehen sollte. Denn vom Tunnel führt an dieser Stelle ein Wirrwarr von Röhren und diversen Hallen auf verschiedenen Ebenen.

Teilchenbeschleuniger
Teil des 27 Kilometer langen Ringes in 100 Meter Tiefe unter der französisch-schweizerischen ErdeBild: AP


Der Beschleuniger selber ist im Haupttunnel untergebracht. In zwei armdicken Rohren werden die Protonen, also die positiv geladenen Teilchen aus dem Atomkern fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, so dass sie 11.000 Mal pro Sekunde in jeweils entgegengesetzter Richtung durch die Ringanlage flitzen. Um das Rohr befinden sich extrem starke Magnete, die die Teilchen auf Kurs halten. Darüber verlaufen jede Menge Rohre und Kabel, die Stromversorgung und das Kühlsystem der Anlage. Immerhin beträgt die Betriebstemperatur 271 Grad - minus wohl gemerkt. Dies alles zusammenzufügen sei eine echte Sisyphusarbeit, sagt Claudet. Dabei seien nicht wissenschaftliche Überflieger, sondern vor allem präzise und zuverlässige Arbeiter gefragt, meint der Physiker.

ATLAS: Der Name ist Programm

Als Claudet zum Aufbruch mahnt, verlassen die meisten nur widerwillig den Tunnel. Der Bus bringt uns zurück in den Schweizer Teil des CERN. Er hält vor einer riesigen Halle; in ihr hätte locker ein größeres Flugzeug Platz. Hier wird fieberhaft am Zusammenbau von ATLAS, dem größten von vier Teilchendetektoren des LHC gearbeitet: ein Koloss von 46 Meter Höhe und 25 Meter Durchmesser. Der Name ist Programm: Atlas ist nach der griechischen Mythologie ein Titan, der die Welt auf seinen Schultern trägt. Der Teilchenbeschleuniger läuft praktisch durch den Detektor durch: In seinem Zentrum prallen die Teilchen dann aufeinander, rund 40 Millionen Mal pro Sekunde.

Immer wieder gab es Verzögerungen beim Aufbau des LHC-Experiments. Der Start wurde mehrfach verschoben. Doch die Geldgeber drängen, und nun soll es endgültig im Frühjahr 2008 losgehen; dann flitzen die ersten Teilchen durch den Beschleuniger, und alle warten gespannt, ob dabei auch das ersehnte Higgs-Teilchen seine Spuren hinterlässt.