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Matthias Ulmer im Gespräch

14. Oktober 2011

In 55 Thesen hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ein Zukunfts-Szenario für die Branche entworfen: "2025 – Eine schöne neue Welt?" Der Verleger Matthias Ulmer ist einer der Verfasser des Szenarios.

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Der Verleger Matthias Ulmer (Foto: Verlag Eugen Ulmer)
Matthias UlmerBild: Verlag Eugen Ulmer

DW-WORLD.DE: Matthias Ulmer, wie sieht denn das Buch der Zukunft aus?

Matthias Ulmer: Das Buch wird wahrscheinlich technisch sehr anders aussehen, als wir es heute gewohnt sind. Aber wir müssen uns auch davon lösen, den Begriff Buch immer mit einem Pappdeckel und Papierseiten dazwischen zu verbinden. Das Buch ist eher ein Lese- oder Informationserlebnis, und dieses Erlebnis kann elektronisch oder auf Papier oder in welcher Form auch immer auf uns zukommen

Die Branche spricht bereits vom "Prinzip Buch", ist das nicht etwas übertrieben?

Ein Kind liest unter der Bettdecke (Foto: Bilderbox)
Lesen als ErlebnisBild: bilderbox

Ich denke, es ist der beste Weg, sich dem anzunähern, sich von dem Begriff Buch zu lösen und darüber nachzudenken, worum es eigentlich geht. Wenn ich das an einem Beispiel erläutern darf: Die Kinderbuchverlage fühlen sich relativ sicher mit dem Buch, weil sie sagen, das, was die Menschen mit dem Buch verbinden, ist das Vorlesen bzw. das Vorlesen-Bekommen von den Eltern, auf dem Schoß sitzen und geborgen sein. Das ist eine Urverbindung, die wir mit Geschichten-erzählt-bekommen verbinden. Und wenn wir uns heute zurückziehen mit einem Buch in einen Winkel, wo wir gemütlich lesen können, dann holen wir dieses Kindheitserlebnis immer wieder zurück. Das heißt, beim Lesen, beim Versinken in einen Roman geht es um etwas ganz anderes als darum, Papier in der Hand zu halten. Der Begriff "Prinzip Buch" versucht dem nachzuspüren, was eigentlich der Kern eines Leseerlebnisses ist.

Sie sehen in Ihrem Zukunfts-Szenario den Rückgang der gedruckten Medien um 25 Prozent voraus. Welches werden denn nach Ihrer Meinung die einschneidendsten Veränderungen auf dem Buchmarkt sein? Was bedeutet das zum Beispiel für die Verlage?

Wir können sagen, dass in der Belletristik, beim Roman, der Unterschied wahrscheinlich nicht so groß sein wird, dagegen in der Wissenschaft wird das Papier fast vollständig von der Elektronik ersetzt, so dass ein Wissenschaftsverlag ganz andere Veränderungen durchmachen wird als der Belletristikverlag.

Und was hat der Buchhandel für Folgen zu erwarten? Ich stelle mir ein elektronisches Angebot im Buchladen sehr unsinnlich vor…

Die Schatten von Jugendlichen mit Laptop vor dem Schriftzug des sozialen Internet-Netzwerks Facebook (Foto: dpa)
Kundenbindung via facebookBild: picture alliance/dpa

Stimmt, dafür geht man nicht in den Buchladen, um Elektronik dort zu sehen, das wird sicher nicht der Fall sein. Nein, wir stellen uns den Buchladen so vor, dass er die Kunden über die elektronischen Medien interessiert und an sich bindet. Etwa, dass man über facebook und anderes laufend mitbekommt, was in dem Geschäft passiert, was für Aktionen gemacht werden, dass mir neue Autoren vorgestellt werden, und dass ich dann in der Buchhandlung auch immer wieder vorbeigehe, um in Kontakt mit den Menschen dort zu treten. Das heißt, dass die Buchhandlung auch eine Begegnungsstätte für Literaturinteressierte wird. Damit reduziert sich das Angebot einer Buchhandlung auch sehr stark auf die Gruppen Literatur, Sachbuch, Kinderbuch.

Und was spielt das E-Book dann für eine Rolle im Buchhandel?

Da sehen wir das E-Book natürlich als Bestandteil des Web-Shops einer Buchhandlung. Jede Buchhandlung wird sowohl gedruckte als auch elektronische Bücher verkaufen, und sie wird ein Ladenlokal und einen Web-Shop haben, also auch Versandbuchhändler sein. Als Kunde kann ich mich entscheiden, ob ich etwas von der Web-Seite bestelle oder runterlade oder ob ich zu meinem Buchhändler gehe und mir etwas empfehlen lasse. Er bietet mir das auf allen Kanälen an.

Nun sind das aber alles noch mehr oder weniger Wunschvorstellungen. Wo haben Sie denn die Daten her? Zum Beispiel liegt der Anteil des E-Books am Umsatz noch bei 0,5 Prozent, das heißt die Leser nehmen das E-Book noch gar nicht an. Woher kommen Ihre Prognosen?

Englische Ausgabe von 'Krieg und Frieden' auf einem Sony Reader (Foto: dpa)
Altes Buch in neuem GewandBild: picture-alliance/ dpa

Aus dem Bauch (lacht). Man muss ja sagen, es ist etwas relativ Einmaliges: Wir stehen an einer Schwelle, wo wir wissen, es wird ein Markt kommen, aber wir kennen die Kunden noch nicht, wir wissen noch nicht genau, wie das Produkt aussieht, wir kennen die Preisstruktur noch nicht genau, wir wissen noch nicht, wie wir es vertreiben werden, wir wissen noch nicht, wer die Autoren sind, wie das Marketing erfolgen wird. Im Prinzip ist alles neu und muss komplett neu erfunden werden. Das einzige, was wir wissen, ist, dass es für uns in fünf Jahren ein Leben entscheidender Markt sein wird, und deshalb müssen wir heute mit Hypothesen arbeiten, um uns auf diesen Markt vorzubereiten. Wir können natürlich in die USA schauen. Das ist der große Vorteil, dass der amerikanische Markt uns zwei bis drei Jahre voraus ist. Auch in den USA hat man noch vor zwei Jahren gesagt, das E-Book ist ein Randphänomen. Und heute gibt es schon die ersten Verlage, die mehr Umsatz mit E-Books als mit normalen Büchern machen. Und auch bei den großen Verlagskonzernen ist es so, dass die Rückgänge bei gedruckten Büchern dramatisch sind und das Wachstum bei E-Books aber auch so groß, dass es diese Rückgänge tatsächlich ausgleicht.

Wie wird denn der traditionelle Leser bei dieser Entwicklung mitgenommen?

Ja, er hat die Wahl. Wir bieten ihm zwei Möglichkeiten an. Er kann konventionell lesen, wie er es gewohnt ist, oder er kann sich auf das Neue einlassen. Mediennutzungsverhalten ist sehr viel Gewohnheit, und wir gehen nicht davon aus, dass die Leser sich von heute auf morgen umstellen. Aber wir können davon ausgehen, dass die neue Generation, die jetzt in die Schulen kommt, in den Schulen schon viel stärker mit elektronischen Medien aufwachsen wird. Und wenn sie dann in 15 Jahren mit dem Studium beginnt, dann wird sie schon aus einer ganz anderen Welt kommen. Das heißt, wir können nicht davon ausgehen, dass die heute sechs-, siebenjährigen Kinder noch so lesen, wie wir das heute selber tun.


Das Gespräch führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Claudia Unseld