China umschmeichelt Taiwans Oppositionelle
28. April 2005
Die letzten beiden Parteivorsitzenden, die sich trafen, waren der chinesische Revolutionär Mao Tse-tung und der nationalchinesische Generalissimus Tschiang Kai-schek. Das war 1945. Ziel des Treffens war, eine "Regierung der nationalen Einheit" zu bilden. Beide Seiten hatten sich in den 1920er bis 1940er Jahren einen erbitterten Bürgerkrieg geliefert. Aber die Verhandlungen scheiterten, 1949 floh die Regierung der Nationalen Volkspartei (Kuomintang) auf die Insel Formosa, wo sie eine eigene Regierung für Taiwan bildeten. Seitdem betrachtet China Taiwan als abtrünnige Provinz.
Gegen Abspaltung
Die Kuomintang regierte Taiwan bis zum Jahr 2000. Danach kam die Fortschrittspartei (DPP) von Chen Shui-bian an die Macht. Ihr politisches Hauptziel ist Taiwans Unabhängigkeit. Um dem entgegenzuwirken, verabschiedete China im März 2005 das "Anti-Abspaltungsgesetz": Taiwan werden im Falle einer formellen Abspaltung "nicht-friedliche Mittel" angedroht. Hunderte Raketen sind schon jetzt auf die Insel gerichtet.
"Teile und herrsche"
Nach dem Regierungswechsel sah Peking mit einem Mal, was es an der Kuomintang gehabt hatte. Denn immerhin befürwortete sie die Wiedervereinigung - wenngleich mit einem demokratischen China. Peking hofiert jetzt den Oppositionsführer in der Hoffnung, den Präsidenten Chen Shui-bian zu isolieren.
China setzt auf mögliche Nachfolger: Nach Lien Chan wird Anfang Mai auch der Chef von Taiwans zweitgrößter Oppositionspartei, James Soong, nach China reisen. Als Lien Chan noch Vizepräsident der Kuomintang-Regierung war, wäre die Einladung undenkbar gewesen. Jetzt verfolgen Chinas staatliche Medien jeden Schritt des 68-Jährigen, dessen Reise zu einer großen Propagandaschau ausgeschlachtet wird.
Gratwanderung
Lien Chan und seine 70köpfige Delegation wurde in China mit mehr Pomp empfangen als so manches Staatsoberhaupt. Auf seiner achttägigen Reise besucht Taiwans Oppositionsführer mehrere historisch bedeutsame Stätten: Als erstes begab er sich zum Grabmal des Parteigründers Sun Yat-sen in Nanjing. Der "Vater des modernen Chinas" und Gründer der Republik China von 1912, als deren Nachfolger sich die Regierung in Taiwan heute versteht, wird sowohl von den Kommunisten in China als auch von den Demokraten in Taiwan verehrt. Nanjing war einst die Hauptstadt der Kuomintang-Regierung.
Außerdem will Lien seinen Geburtsort Xi'an besuchen. In Schanghai trifft er den Chefunterhändler für die Beziehungen zu Taiwan, Wang Daohan. Vorsorglich betonte Lien Chan immer wieder, er reise nur als Parteivorsitzender und spreche nicht für die Regierung in Taipeh. Außerdem werde er mit der chinesischen Regierung weder verhandeln noch irgendwelche Vereinbarungen unterzeichnen.
Eigennutz
Mit Blick in die Zukunft ist allerdings zu bezweifeln, dass die Reise ein Wendepunkt in den angeschlagenen Beziehungen zwischen Peking und Taipeh werden kann. Zwar spricht Lien Chan mit großen Worten von einer "Friedensreise", ganz uneigennützig reist er aber nicht: Nach seiner knappen Wahlniederlage gegen Taiwans Präsident Chen Shui-bian vor gut einem Jahr war der frühere Vizepräsident zum glücklosen "Auslaufmodell" der alten Führungsgarde geworden, die eigentlich einer neuen Generation in der Kuomintang hätte Platz machen sollen. Mit Hilfe Pekings ist Lien Chan plötzlich wieder Hoffnungsträger und Staatsmann. (arn)