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Bosnien-Herzegowina verpasst erst einmal den Zug nach Europa

6. Oktober 2005

Monatelang haben die Parlamente in Bosnien-Herzegowina wichtige Reformgesetze verschleppt. Die Verzögerung könnte Bosnien einige Jahre seiner Entwicklung kosten, meint Fabian Schmidt in seinem Kommentar.

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Zwar hat Bosnien-Herzegowina endlich die Polizeireform, die Reform des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und die Verteidigungsreform auf den Weg gebracht, die Zustimmung der Parlamente kam aber genau vier Tage zu spät. Erst Anfang der Woche hatten die EU-Außenminister in Luxemburg die Aufnahme jeglicher Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina ausdrücklich abgelehnt. Dies war insofern logisch, als die Europäische Union genau diese drei Reformen zur Vorbedingung für den Beginn von Gesprächen gemacht hatte, wie sie nun ab kommender Woche mit Serbien-Montenegro geführt werden.

Zug nach Brüssel zunächst verpasst

Damit hat Bosnien-Herzegowina aufgrund der monatelangen Blockade der Polizeireform durch das Parlament der Republika Srpska und durch die Verschleppung der beiden anderen Reformvorhaben durch das gesamtstaatliche Parlament den Zug nach Brüssel verpasst. Nun stehen die Bürger des Landes erst einmal auf dem Bahnsteig, sehen die Rücklichter des Integrationszuges und werden die Rechnung für die Unverantwortlichkeit ihrer Parlamentarier zahlen müssen: Bosnien wird auch mittelfristig nicht in den Genuss von Visafreiheit kommen. Ausländische Direktinvestitionen werden erst dann in großem Maße fließen, wenn die europäische Perspektive klar ist, und Bosnien wird erst später an Strukturfonds der EU beteiligt werden können. Die Verschleppung der Reformen um nur wenige Tage dürfte Bosnien einige Jahre seiner Entwicklung kosten.

Jähes Erwachen aus dem Winterschlaf

Die überraschende Verabschiedung der Gesetze nach dem EU-Außenministertreffen legt nahe, dass die bosnischen Parlamentarier durch dessen Beschlüsse - konkret: der Beginn von Verhandlungen mit Kroatien sowie Serbien und Montenegro - jäh aus ihrem Winterschlaf geweckt und sich erst jetzt der vollen Tragweite ihrer Politik bewusst wurden. Dies kann aber keine Entschuldigung sein.

Sie wussten sehr wohl, welche Konsequenzen die Blockade der Gesetze für die Annäherung an die Europäische Union haben würde. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, hatte selbst mehrmals die Parlamentarier und die Parteien eindringlich gewarnt. Sogar der Präsident der Republika Srpska, Dragan Cavic, hatte das Parlament seiner Entität noch im September dringend gebeten, die essentielle Polizeireform gutzuheißen. Damals hat die Parlamentsmehrheit das Gesetz abgelehnt.

Was nun, Bosnien-Herzegowina?

Zwar wünscht sich nun die bosnische Regierung von der EU eine erneute Prüfung ihres Verhandlungsgesuches. Aber ob sich Brüssel darauf kurzfristig einlässt, ist fraglich. Von der Europäischen Union können die bosnischen Politiker kaum erwarten, dass sie die Beschlüsse von Luxemburg im Nachhinein revidiert, nur weil die Politiker in Bosnien ihre Hausaufgaben nicht rechtzeitig gemacht hatten.

Fabian Schmidt
DW-RADIO/Bosnisch, 6.10.2005, Fokus Ost-Südost