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Blutiger Wahlkampf

Peter Philipp20. Dezember 2004

Wenige Wochen vor den Wahlen im Irak steigt die Zahl der Anschläge. Offenbar wollen die Täter die geeinte Front der schiitischen Gruppen brechen. Die Schiiten stellen die aussichtsreichsten Kandidaten bei den Wahlen.

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Grausamer Sonntag: Anschlag in BagdadBild: AP

Die schweren Anschläge, die am Wochenende (18. und 19.12.2004) in den heiligen schiitischen Orten Kerbala und Nadschaf Dutzende von Toten forderten, stellten den makabren Auftakt des irakischen Wahlkampfes dar: 7200 Kandidaten bewerben sich um die 275 Mandate des Parlaments, das am 30. Januar 2005 zum ersten Mal frei gewählt werden soll. Ein "Wahlkampf", der an Heftigkeit noch zunehmen dürfte, je näher der Wahltag rückt. Denn trotz der hohen Anzahl von Kandidaten - die Meinungen über die geplanten Wahlen klaffen fast ebenso weit auseinander wie die Interessen der unterschiedlichen Gruppen.

Anschläge sollen schiitische Front brechen

Wahlen im Irak
Wahlkampfplakat von Ministerpräsident Allawi in BagdadBild: AP

So soll der ehemalige Präsident Saddam Hussein aus seinem Gefängnis bei Bagdad an die Iraker appelliert haben, die Wahlen zu boykottieren und zu sabotieren. Auch ohne solch einen Appell des entmachteten Ex-Diktators sind sunnitische Gruppen entschlossen, bis zuletzt gegen die Abhaltung der Wahlen zu kämpfen, denn sie wissen, dass am 30. Januar die bisherige Vormachtstellung der Sunniten endgültig gebrochen wird: Die Sunniten stellen nur eine Minderheit im Land dar, die Mehrheit der Iraker (über 60 Prozent) sind Schiiten, die in der Vergangenheit aber immer von der Macht ausgeschlossen waren.

Die Schiiten sind deswegen auch die aussichtsreichsten Kandidaten bei der Wahl: Ihr angesehener Großayatollah Ali al-Sistani war denn auch in den letzten 1,5 Jahren eine treibende Kraft hinter den Bemühungen um die Abhaltung freier Wahlen. Und Al-Sistani hat jetzt ein Wahlbündnis zusammengestellt, an dem die wichtigsten schiitischen Gruppen und Parteien, aber auch einige nicht-schiitische Kandidaten beteiligt sind. Diese "Vereinigte Irakische Koalition" dürfte deswegen die größten Chancen haben, als Sieger aus den Wahlen hervorzugehen. Und mit Sicherheit ist dieser Umstand ein Grund dafür, dass sich jetzt Anschläge in dem – sonst relativ ruhigen – schiitischen Gebiet ereignen: Die Täter und ihre Hintermänner wollen die geeinte Front der Schiiten aufbrechen. In der Hoffnung, dass ihr Wahlsieg dadurch doch noch verhindert werden könnte.

Möglicher Machtverlust der Sunniten



Nicht nur innerirakische Gruppen sind besorgt über die Siegeschancen der Schiiten, auch aus dem Nachbarland Saudi-Arabien ist zu hören, dass man mit Sorge der Entmachtung der Sunniten entgegensieht. Und in der gegenwärtigen Übergangsregierung von Regierungschef Ijad Allawi verschärft sich der Ton, in dem der Iran als Störenfried und Helfershelfer der Schiiten im Irak bezeichnet wird. Allawi hat eine "Irakische Liste" von eher säkularen Gruppen zusammengestellt, die auch von religiösen Minderheiten unterstützt werden soll, und die eine Alternative für alle Iraker anbieten will – gleich ihrer religiösen oder ethnischen Herkunft.

Übergangspräsident Ghasi al-Jawar wiederum versucht, mit einem Bündnis ("Die Iraker") sunnitische Stämme zu organisieren, angeblich nicht in Konkurrenz, sondern in Zusammenarbeit mit Allawi. In letzter Zeit waren aber Gerüchte aufgekommen, dass es zwischen Al-Jawar und Allawi zunehmend Unstimmigkeiten gebe.

Kurden hoffen auf Autonomie

Die dritte große Gruppe, die bei den Wahlen antritt, ist die der Kurden: Die beiden politischen Hauptzweige, "PUK" und "KDP", treten nach Jahren bitterer Rivalität gemeinsam auf. Sie haben längst ihre Hoffnung auf eine kurdische Unabhängigkeit begraben, versuchen nun aber, die begrenzte Autonomie im kurdischen Norden weiter auszubauen und zu festigen, gleichzeitig aber auch in Bagdad politisch mitspielen zu können – was auch den Kurden jahrzehntelang verwehrt war.

Wenn die Wahlen planmäßig abgehalten werden – alle Versuche, sie zu verschieben oder auch auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, sind eingestellt worden – dann dürfte die Entscheidung in erster Linie zwischen diesen drei Hauptgruppen fallen und die Schiiten dürften die großen Sieger werden. Das neue Parlament soll dann innerhalb von elf Monaten die Verfassung verabschieden, die politische Normalisierung vorantreiben und allgemeine reguläre Wahlen für Dezember 2005 vorbereiten.

Ob es so kommt, hängt zu einem guten Teil von der Entschlossenheit der Terroristen ab und von der Fähigkeit der Übergangsregierung, deren Angriffe zu verhindern. In Bagdad wurden am Wochenende drei Wahlhelfer von nicht maskierten Tätern auf offener Straße ermordet: Kommt es weiter zu solchen Zwischenfällen, dann dürfte sich die Prognose schiitischer Kreise als Illusion erweisen, dass die Wahlbeteiligung bis zu 80 Prozent betragen könnte.