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Auschwitz muss stete Mahnung bleiben

Cornelia Rabitz 24. Januar 2005

Man muss sich an das Grauen in Auschwitz erinnern und das tut man auch. Im zusammenwachsenden Europa wären allerdings neue Ansätze der Erinnerungskultur nötig, meint Cornelia Rabitz in ihrem Kommentar.

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Am Nachmittag des 27. Januar 1945 betraten Soldaten der Roten Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. SS und Wachmannschaften hatten das Gelände längst verlassen und Tausende Häftlinge mit auf den Todesmarsch gezwungen. Die sowjetischen Militärs fanden neben etwa 650 Leichen noch knapp 8000 zu Tode erschöpfte Menschen vor. In den Lagerhäusern entdeckten sie Männeranzüge und Frauenkleider, Kinder- und Babykleidung, Schuhe, zehntausend-, ja hundertausendfach. Dazu über sieben Tonnen Haar - säuberlich verpackt in Papiertüten. Es waren Spuren eines Massenmords, den die Welt bis dahin nicht gesehen hatte.

Friedhof der Menscheitsgeschichte

Seit Juni 1940 waren Gefangene in das nahe der polnischen Stadt Krakau gelegene Lager gebracht worden - politisch, religiös, sozial, rassisch Verfolgte aus ganz Europa, vor allem aber: Juden. Mehr als eine Million jüdischer Männer, Frauen und Kinder wurden dort ermordet. Auschwitz, das größte und schrecklichste aller Konzentrationslager, ist zum Synonym für die Hölle auf Erden geworden, es war - und ist - ein gigantischer Friedhof der Menschheitsgeschichte. Worte wie Gaskammer, Krematorium, Appell, Rampe und Bunker sind auf immer mit ihm konnotiert.

Sechzig Jahre liegt die Befreiung von Auschwitz zurück. Und es ist immer noch kaum möglich, das Grauen, das sich dort abspielte, mit Worten zu beschreiben, zu erfassen. Es hat Gerichtsprozesse gegeben, Täter wurden verurteilt, Bücher wurden geschrieben, Filme gedreht, historische Forschung betrieben. Spät erst kamen die traumatisierten Opfer zu Wort. Viele sind mittlerweile gestorben, heute sind es nur noch wenige hochbetagte Menschen, die selbst Zeugnis ablegen können. Das Bewusstsein, dass die Holocaust-Überlebenden in zehn Jahren, zum siebzigsten Gedenken nicht mehr da sein werden prägt die diesjährigen Feierlichkeiten.

Erträglich, korrekt, einwandfrei

Umso wichtiger wäre es freilich, ihnen nochmals ausreichend Gelegenheit zum Gehör zu geben. Wird man sich die Mühe machen, ihren Erinnerungen Platz einzuräumen? Sich ihnen noch einmal anteilnehmend, lernend, zuzuwenden? Im Erinnerungsjahr 2005 gibt es widersprüchliche Eindrücke. Die Gefahr eines routinierten Medienspektakels ist real. Längst liegen passgenaue Formate vor: Dokumentationen, Fernsehfilme. Professionell gemacht. Für alle erträglich. Politisch korrekt. Ästhetisch einwandfrei. Alles schon mal gezeigt. Zeitzeugen, Täter, Opfer - längst befragt. Erinnerungen - in handliche Statements und Schnipsel zerlegt. Spielfilme neuer Art werden gedreht. Adolf Hitler als sentimentaler Wahnsinniger in seinem Bunker ist ein Kassenschlager. Neue Bücher, die Deutsche als Opfer von Bombenterror darstellen und nicht nach Schuld und Verantwortung für Völkermord und Kriegsgreuel fragen, sind zu Bestsellern geworden. Derweil randalieren Neonazis in einem deutschen Landesparlament.

Zur ritualisierten Betroffenheit gesellen sich ernste Sorge und teilnehmendes Erinnern. Offen ist die Frage, wie sich die junge Generation in Zukunft an den Holocaust erinnern wird.

Im zusammenwachsenden Europa freilich ergeben sich ganz neue Perspektiven und Notwendigkeiten. Die Vernichtung der Juden war - und ist - ein europäisches Thema. Der Zweite Weltkrieg könnte ein gesamteuropäischer Bezugspunkt werden. Wenn auch ein negativer.

Verabschiedung vom Mythen und Fiktionen

Wer ein gemeinsames Bewusstsein schaffen will, muss sich allerdings von nationalen Mythen, Lebenslügen und Fiktionen verabschieden. Das Thema Kollaboration, das Thema Antisemitismus ist in den Ländern Mittel- und Osteuropas nicht einmal in Ansätzen aufgearbeitet. Dort geriet man allerdings nach der Befreiung vom Faschismus unter das Joch der sowjetischen Diktatur, weswegen die Auseinandersetzung mit der jüngeren nationalen Geschichte in den baltischen Staaten, in Tschechien, Ungarn, in Rumänien aber auch der Ukraine besonders schwierig ist. Diese Staaten brauchen Dialog und Unterstützung von denen, die damit schon weiter sind. Es wäre zukunftsweisend, wenn sich sechs Jahrzehnte nach dem Ende des von Deutschen entfesselten Völkermords in Europa Ansätze zu einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur entwickelten.

Auf dem Weg dorthin wird die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine wichtige Wegmarke bleiben.