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Wahlbetrug und Widerstand

Leila Knüppel4. März 2008

Die gewaltsamen Proteste wegen Wahlfälschung in Armenien sind beendet. Tausende Soldaten haben das Zentrum der Hauptstadt Eriwan abgesichert. Der Oppositionspolitiker Lewon Ter-Petrossjan wurde unter Arrest gestellt.

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Demonstranten in Eriwan
Demonstranten werfen der Regierung Wahlbetrug vorBild: AP

Mindestens acht Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Autos brannten aus, Scheiben gingen zu Bruch. Bereits seit den Wahlen Mitte Februar protestierten Demonstranten gegen Wahlbetrug und Stimmenfälschung. Am Wochende (01./02.03.08) dann eskalierte der Konflikt: Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. "Ich kann mich nicht erinnern, dass es in Eriwan je solche Ausschreitungen gegeben hat", kommentierte ein alteingesessener Bürger das Geschehen in der Hauptstadt.

Mittlerweile ist es wieder ruhig, der Alltag scheint zurückgekehrt. Nur ab und zu promenieren Soldaten durch die Straßen Eriwans. Der scheidende Präsident Robert Kotscharjan verhängte einen 20-tägigen Ausnahmezustand, um die Proteste zu stoppen. Der Verlierer der Präsidentschaftswahl, Lewon Ter-Petrossjan, steht mittlerweile unter Hausarrest und rief dazu auf, die Proteste aufzugeben.

Proteste kamen nicht unerwartet

Armeniens Oppositionelle werfen dem neu gewählten Präsidenten Sersch Sarkissjan, der 52 Prozent der Stimmen erhielt, Wahlbetrug vor. An die Spitze der Protestbewegung stellte sich sein Herausforderer Ter-Petrossjan, der mit etwa 21 Prozent der Wählerstimmen kaum Chancen auf das Regierungsamt hatte.

Präsidentschaftskandidat Ter-Petrossjan
Präsidentschaftskandidat Ter-Petrossjan steht unter HausarrestBild: AP

Trotz der offiziell eindeutigen Wahlergebnisse kommt der Ausbruch der Gewalt in Armeniens Hauptstadt für die Leiterin von "Policy Studies Central Asia", Marie-Carin von Gumppenberg, nicht überraschend. "In Armenien herrschte gerade im Wahlkampf ein Potenzial an Aggressivität und Gewalttätigkeit", meint von Gumppenberg. "Wenn die Regierung sich mehrere Wochen lang weigert, gegenüber der Opposition irgendwelche Zugeständnisse zu machen, ist eine gewalttätige Eskalation nicht ungewöhnlich."

Ähnlich sieht das der Kaukasus-Experte Uwe Halbach. "Die Proteste waren von der Opposition bereits vor der Wahl angekündigt", sagt Halbach. Sie hätten vermutlich, unabhängig vom Wahlergebnis, stattgefunden. Erstaunlich sei allerdings der große Widerhall in der Bevölkerung und das Ausmaß der Proteste. Am Wochenende waren nach Einschätzungen von Nachrichtenagenturen zwischen 10.000 und 15.000 Regierungsgegner auf den Straßen. "Mittlerweile sind sogar schon Mitglieder aus dem Regierungslager zu der protestierenden Opposition übergetreten", berichtet Halbach.

Nach Korruptionsvorwürfen wieder zurück

Präsidentschaftskandidat Sersch Sarkissjan
Präsidentschaftskandidat Sersch Sarkissjan sieht sich durch das Wahlergebnis im Amt bestätigtBild: AP

Der Aufstieg des Opponenten Ter-Petrossjan zur Leitfigur einer Protestbewegung war nicht abzusehen, als er erst im Herbst des vergangenen Jahres überraschend in die Politik zurückkehrte und sich als Regierungschef zur Wahl stellte: Er stand bereits 1991 bis 1998 als erster Regierungschef an der Spitze des Landes, musste jedoch wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten.

Letztendlich sei also fraglich, ob er mehr Rückhalt in der Bevölkerung besitze, meint die Politologin Gumppenberg. Die Interessen der politischen Eliten hätten sehr wenig mit denen der Bevölkerung zu tun. "Die Proteste lassen sich letztendlich nur mit einer hohen Unzufriedenheit in der Bevölkerung erklären", schätzt Halbach die Situation ein, "vor allem aber gebe es einen Konsens, dass die Wahlen gefälscht worden sind".

Stimmenkauf ist üblich

Zwar gaben die Wahlbeobachter der OSZE bekannt, es hätte sich um eine weitgehend demokratische Wahl gehandelt, dies sei jedoch mit vielen Einschränkungen versehen. "Wenn in einem Land keine wirkliche Pressefreiheit herrscht und auch keine wirkliche Gewaltenteilung, dann ist es letztendlich schwer einzuschätzen, ob Wahlfälschung vorgelegen hat", meint Ekkehard Maas von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft. Stimmenkauf und Wahlmanipulation seien durchaus üblich.

Auch Gumppenberg kann von Wahlmanipulationen bei zurückliegenden Wahlkämpfen berichten. "Dass Armenien eine Demokratie ist", meint sie "bleibt eine Hoffnung, der sich letztendlich der Westen hingibt".